Weldaer Heimatblaetter


Herausgegeben vom Ortsheimatpfleger Bruno Hake

Erschienen in zwangloser Folge

Nr. 11                                                                         August 1995                                                       11. Jahrgang

 

Nachstehend wird die Abschrift aus dem Buch

„Mein Leben“ von Ferdinande von Brackel fortgesetzt.

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  1. Der erste Roman.

Den Stoff zur Erzählung Die Tochter des Kunstreiters trug ich lange mit mir herum. Den derben Rat meiner Freundin, die ganze Geschichte dem Feuertode zu weihen, befolgte ich jedoch nur insofern, als ich die zu eingehenden Kapitel vernichtete, um dann frisch und munter von neuem anzufangen.

Ich hatte geglaubt, je minutiöser ich das Leben wiedergebe, desto besser sei es. Freilich, damals wie heute strömt mir erst immer der Gedanke in sich überstürzender Flut zu und dehnt sich zu erschreckender Breite aus. Aber dann kommt, wie Annette Droste sagt, „die Heckenschere“ und der Blaustift, für mich leider nur in der Gestalt, daß ich das Kapitel so lange neu schreibe, bis es die nötige Kürze erlangt hat.

Da saß ich nun manchen Morgen und manchen langen Abend und häufte Blatt auf Blatt – zerriß aber mehr noch als ich schrieb. Es wollte mir immer nicht werden. Doch hatte ich eine gute Hilfe gewonnen. Unsere alte Hennah, die schon erwähnte Kammerjungfer meiner Mutter, begeisterte sich sehr für das Arbeiten ihres Fräuleins, nun sie sah, daß etwas Richtiges daraus wurde. Vorher hatte es ihr weniger Respekt eingeflößt. Allabendlich gegen fünf, sechs Uhr kam sie jetzt aber und mahnte: „ Ich habe Ihnen alles zurechtgesetzt, gnä´ Fräulein. Wenn man es tun kann, muß man es auch richtig tun,“ sagte sie. Ich fand dann die Lampe angezündet und den Ofen wie den Tisch bereit. Aber mehr noch half sie durch ihr geduldiges Zuhören. „Hennah, jetzt mußt du aufpassen!“ sagte ich, las ihr das Kapitel, das eben fertig geworden, vor und hörte dann selbst, wenn es zu lang sich dehnte, wenn es zu sehr in Einzelheiten verlief.

Vor mir saß die gute Alte dann, ihre hohe, schlanke Gestalt stets hoch aufgerichtet, gerade wie ein Grenadier, und strickte mit immer gleichmäßigem Fleiß. Wenn ihr Gesicht einen gelangweilten Ausdruck zeigte, dann wußte ich, daß das Kapitel wieder zu breit und langweilig war. „Hennah, es taugt nicht,“ sagte ich dann oft, „du machst schon ein ganz gelangweiltes Gesicht.“ – „Gnä´ Fräulein, ich bin heute wohl ein wenig müde!“ entschuldigte sie sich meistens. Aber dadurch ließ ich mich nicht irre machen – ihr Gesicht war mir der beste Maßstab. Sie war keine schlechte Kritikerin mit ihrem gesunden, natürlichen Verstand, das habe ich auch nachher noch oft genug bemerkt. Sie hatte damals meiner Mutter anvertraut, daß ich eine Geschichte schreibe, die gewiß allgemein gefallen würde, und war später sehr stolz darauf, Recht behalten zu haben. Was mich selbst betraf, so meinte ich, der Leser würde auf der ersten Seite schon das Ende erraten – was sich glücklicherweise nicht bestätigte.

Ich war übrigens tatsächlich damals noch in keinem Zirkus gewesen und auch nur ein einziges Mal auf einen kurzen Tag in Bonn am Rhein, wo der Roman zum Teil spielt, mußte mir also die ganze Szenerie aus der Phantasie ergänzen.

So kam der Tag, wo ich das eingeschriebene Paket mit den ersten Kapiteln an Herrn Bachem nach Köln einsandte. Damals ging noch alles durch die Botenfrau zur Post nach dem nächsten Städtchen. Ich sah mit einigem Zagen das Paket in der Hand der Alten. „Wenn es angenommen wird, bekommen Sie auch etwas extra, Jule,“ sagte ich, und sie meinte: „Ja, wenn ich man schreiben könnte, ich bin so klug, ich sage Ihnen, so klug, ich kriegte was zusammen …. aber schreiben habe ich nicht gelernt.“[1]

Nun, der Brief, der zur Anwort kam, entzückte mich sehr und ich war selig, die anderen Kapitel zu senden. Das Manuskript war herzlich schlecht und hat jedenfalls dem Bearbeiter viel Mühe verursacht. Wenn meine schlechte Schrift und mangelnde Interpunktion ihn gewiß oft schier zur Verzweiflung brachten, so übten die Korrekturen auf mich die ähnliche Wirkung aus. Besonders das Zerschneiden der Sätze war mir ein Greuel, und hier und da mag ich recht gehabt haben, daß die Korrektur einen gewissen philisterhaften trockenen Ton hineinlegte.

Aber weit öfter war der Bearbeiter völlig in seinem Recht. Herr Josef Bachem war ein vorzüglicher Stilist und genauer Kenner der Technik des Romans. Ich habe sehr viel von ihm gelernt; er hat viel zum Wert des Ganzen beigetragen. Er hat meine Arbeiten stets selbst korrigiert und ich danke ihm das heute noch. Hier und da sind wir wohl etwas heiß darüber aneinander gekommen; doch ich habe meist eingesehen, daß er mit fester, sicherer Hand arbeitete und auch seine Streichungen berechtigt waren. So habe ich ihn auch fast immer darin ruhig walten lassen, auch wenn ich nicht ganz überzeugt war. Man sieht ja in seinem eignen Werk nicht klar.

Die Tochter des Kunstreiters erschien von Januar bis März 1875 zuerst im Feuilleton der Kölnischen Volkszeitung. Ich war ruhig auf dem Lande und habe selbst viel später erst erfahren, daß sie als Feuilleton solchen Erfolg hatte. Als sie dann im Herbst 1875 als Buch[2] erschien und dieses die gleiche Anerkennung fand, bemerkte ich auch, daß es etwas auf meine persönliche Stellung in der Welt einwirkte. Die Menschen fingen an, sich um mich zu bekümmern, und selbst die, die mich seit meiner Kindheit gekannt, fanden etwas mehr in mir als früher.

So ein Stückchen Erfolg, ist eine hübsche Sache, und er war eben durchschlagender, weil für das Feuilleton der katholischen Zeitungen damals wenig Schriftsteller vorhanden waren. Ich muß aber dabei sagen, daß die Tochter des Kunstreiters ebensoviel Anerkennung bei den Nichtkatholiken fand. Emanuel Geibel, der damals in Lübeck lebte und der sich schon über meine Gedichte so freundlich geäußert hatte, sprach sich sehr entzückt über die Tochter des Kunstreiters aus und verschaffte ihr Eingang in Hamburg, Lübeck und Holstein, wo sie ebenso wie in anderen protestantischen Gegenden viel gelesen ist.

Meine Mutter nahm den Erfolg sehr ruhig hin und äußerte sich selten und wenig darüber. Nur einmal rief sie mich herbei und sagte mir, daß das Buch sie zu Tränen gerührt habe.

Seit meines Vaters Tode hatten meine Mutter und ich einen Haushalt für uns. Doch blieb meine Mutter zu Welda in den ihr lieben Räumen wohnen, und auch unsere alten Leute behielten wir.

Mein Bruder, der Besitzer des Gutes, war auch verheiratet und lebte mit Frau und Kindern ebenfalls hier. Wenn dann die beiden anderen Brüder, die gleichfalls jetzt verheiratet waren, zu Besuch kamen, dann hatte das große Haus kaum Raum genug. Dann hauste gar manchmal die Kinderwelt des Morgens in Tantes Zimmerchen, trotzdem dieselbe am Schreibtisch saß. Sie liebten es nicht, wenn Tante „kapitelte“, wie sie es nannten; wenn ich an meinen Arbeiten war, dann mußten sie ein wenig stiller sein. Im Grunde aber störte es mich wenig, und bei Kinderlärm, Haushaltungsüberlegungen und steten Störungen sind die Bücher entstanden. Es hat sich sogar oft gezeigt, daß ich grade in so belebten Zeiten am besten schaffen konnte. Eines Sommers, als ich die schönste Ruhe hatte, wollte mir gar nichts gelingen.

Kinder habe ich stets ungemein gern gehabt und habe zumeist auch viel Gegenliebe bei ihnen gefunden. Die zwei Kinder meines ältesten Bruders, der im Hause wohnte, waren fast allabendlich bei der Großmama, und die Tante hatte doch meist für ihre Unterhaltung zu sorgen. Was für Spiele haben wir dann getrieben und ersonnen! Natürlich kam auch das Geschichtenerzählen da wieder zur Übung. Eine Geschichte vom unartigen Entchen und einer bösen Wasserratte hat eine gewisse Unsterblichkeit erlangt, so vielen Kindern, jetzt schon verschiedener Generationen, wurde sie erzählt; doch nicht zwei Kinder haben sie ganz gleich gehört. Das Spielen mit den Kindern, als sei man selbst Kind, ist mir lange Jahre möglich gewesen und ich ermüdete selten dabei, es war mir meist sogar Genuß. Die Kinder hatten es, glaube ich, nur deshalb so gern, weil ich mich so ganz in ihre Art und Weise hineindenken konnte, und doch sie mit neuen Gedanken unterstützte. Meine guten Nerven kamen mir auch dabei zu Hilfe; etwas Lärm gehört mit zum Kindervergnügen und ohne ein gewisses lustiges Getobe kommt die Freude nicht zutage. Mir tun die Kinder immer leid, die man ängstlich hütet, Lärm zu machen. Wenn wir aber auch in der Weise gute Kameraden waren: Artigkeit und Gehorsam heischte ich und habe sie auch stets gefunden.

Auch der anderen Brüder Kinder weilten oft und viel bei uns.

Mein dritter Bruder hatte aus der Familie Mengersen meine liebe Freundin geheiratet und unsere Freundschaft war dadurch nur um so inniger geworden. Als der Kulturkampf, der in jenen Jahren in seiner höchsten Blüte stand, meinen dritten Bruder aus seiner heimatlichen Provinz nach Holstein versetzte, sandte sie mir zu verschiedenen Malen ihren Ältesten, ein zartes Bübchen, für das sie die nordische Luft fürchtete, zu wochenlangem Aufenthalt.

Ebenso war auch mein vierter Bruder mit Frau und Kindern oft länger bei uns und auch die hatte ich dann stets viel um mich und bei mir.

Nachdem die Kunstreiterstochter ihren Weg in die Welt glücklich gefunden, hatte ich als neue Arbeit eine kleinere Novelle begonnen, deren Beginn auch schon aus der ersten Jugend stammte. Ich hatte sie in kindischer Weise damals nicht fortgeführt, denn ein städtischer Ball spielte eine Rolle darin, und da ich damals noch keinen erlebt hatte und das für unendlich wichtig hielt, blieb ich in der Erzählung stecken.

Den ganzen Plan und Gedankengang behielt ich aber bei und führte ihn so aus, wie es mir da vorgeschwebt hatte. So lebt auch in Nicht wie alle Anderen ein Stück frischen Jugendhauches, was der Novelle wohl viele Freunde gewonnen hat.

  

  1. Die ersten Novellen.

            Diese erste Novelle bereitete mir ein besondere Freude dadurch, daß sie die Aufmerksamkeit und den Beifall meines Vetters Burchard von Schorlemer-Alst gewann. Sein offenes und energisches Auftreten im Reichstag und Abgeordnetenhaus für die Rechte der Kirche, seine ungewöhnliche Rednergabe machten die Welt auf ihn aufmerksam. In der Stille hatte er damals schon für seinen genialen Gedanken, die Gründung der Bauernvereine zur Kräftigung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, viel gewirkt. Er war ganz erfüllt von dem Gedanken, daß eben in dem beharrenden Element des Besitzes, des bäuerlichen wie des Großgrundbesitzes, im Gegensatz zu dem fluktuierenden Teil der Bevölkerung, wie ihn Handel und Industrie repräsentieren, eine der Hauptstützen des Volks- und Staatslebens liege. Er hatte es erkannt, daß nur der Besitz, der lange dem Menschen zu eigen, den Charakter der ruhigen, seßhaften Bevölkerung ausmacht.

Ich hatte damals, durch meinen dritten Bruder darauf aufmerksam gemacht, viel Riehl gelesen, der diesen schönen Grundsatz vom flüssigen und beharrenden Element im Staat so anschaulich macht, daß man die Überzeugung gewinnt, eine gesunde Anschauung vor sich zu haben. Mehr aber noch als Riehl hatte mich das stetige Leben auf dem Lande darin belehrt, und endlich gehörte ich mit Leib und Seele dem beharrenden Element mit an. Gerade die letzten Jahre hatten schwere Sorgen um unseren Besitz ihn uns nur um so lieber gemacht. Wir jüngeren Kinder waren alle darin einig gewesen, lieber alle Opfer zu bringen, als diesen Besitz aufzugeben.

Das Herz war noch ganz von diesen Sorgen und Gedanken erfüllt und alle Entwürfe jener Zeit drehten sich um ähnliche Fragen, wie z.B. auch die Märchennovelle Vom alten Stamm, wenn sie auch erst viele Jahre später fertig geschrieben wurde.

In der Novelle Nicht wie alle Anderen, vielleicht etwas unmotiviert und jedenfalls zu lang für den eigentlichen Stoff der Novelle, sind mir diese Anschauungen aus der Feder geflossen. Ich wollte sie im letzten Augenblicke noch streichen, nachdem das Manuskript schon in Herrn Bachems Händen war. Ich bat ihn, ein gut Teil der Rede des Grafen Rotteck [3] zu streichen. Er schrieb mir aber zurück, ich spräche darin so die Anschauungen von Schorlemer-Alst aus, daß ich die Rede doch so belassen möge.

Ich kannte damals Schorlemer-Alst persönlich noch nicht, war aber stolz darauf, seine Gesinnung zu teilen und sie vertreten zu haben.

Eine große Freude und Ehre war es mir, als ich – noch währenddem die Novelle im Feuilleton der Kölnischen Volkszeitung im Januar und Februar 1876 erschien – einen Brief aus dem Abgeordnetenhause erhielt, der die Unterschriften sämtlicher westfälischen Abgeordneten trug, die mir ihren Dank für die Unterhaltung, die ihnen die Novelle bereite, aussprachen. Auch Windthorsts Name stand darunter.[4] Der Abend, als ich jenen Brief erhielt, steht noch wie ein gar lichter Punkt mir in der Erinnerung.

Später erst lernte ich Schorlemer-Alst persönlich kennen und werde ihm stets dankbar sein für den Anteil, den er an meinen Arbeiten nahm. Er war dabei eine solch frische, prächtige Natur, dessen köstlicher Humor ihn zu einem liebenswürdigen Gesellschafter machte.

Manchen Scherz haben wir dann ausgetauscht, wie den Kampf von Leber- und Bratwurst, auf die der viel beschäftigte Mann so liebenswürdig heiter einging.[5]

Aber auch manche ernste Unterhaltung haben wir ausgetauscht, und mich in seinem Denken mit ihm eins gefühlt zu haben, ist mir heute noch eine große Freude.[6]

Weniger als Nicht wie alle Andern gefiel im allgemeinen Aus fernen Landen, eine Geschichte, deren Stoff mir von fernher, aus fremden Landen überkommen war. Mein zweiter Bruder war nach der Auflösung der päpstlichen Armee nach Mexiko gegangen, noch ehe Puebla fiel, und hatte dort die Kämpfe gegen Juarez, die Aufrichtung und das tragische Ende des mexikanischen Kaisertums miterlebt. Er war auch dann dort geblieben; wir korrespondierten stets auf das eifrigste, und durch seine gewandte Feder traten auch Bilder außereuropäischen Lebens in meinen Gesichtskreis. Der Stoff der Novelle hatte mich gefaßt. Meiner Ansicht nach ist die Novelle besser aufgebaut und künstlerisch besser erzählt als Nicht wie alle Andern; aber das Thema packte nicht so, und Nicht wie alle andern ist viel mehr beachtet worden.

  1. Daniella.

Währenddem ich aber diese Novellen noch schrieb, spukte schon der Stoff zu Daniella mir im Kopf.

Das Ringen und Streben der bewegten Zeit erhielt immer mehr das Gepräge des von Gott losgelösten Geistes, der nur eigene Kraft und irdische Größe anerkennen will, im Gegensatz zu der demütigen Unterordnung und Arbeit für die höchsten Ideale, wie der christliche Glaube es will. Dieser Kampf schwebte mir vor: die schrecklichen Vorgänge in Paris, wo die Freidenker ihre Orgien mit der Nachäffung der Einsetzung des hl. Abendmahles krönten und jene schrecklichen Blasphemien ausstießen, daß der Kelch zu Blut sich wandeln müsse und daß das Blut über sie kommen solle, die Religion der Freiheit zu taufen! Als nun ein Jahr später sich der furchtbare Fluch bewahrheitete und Ströme Bluts die Unglücksstadt in Wahrheit tränkten, da hatte mich das so erfaßt, daß ich es gestalten mußte. Erst hatte ich nur diese eine Szene im Auge, die ich dichterisch verwerten wollte; doch dann verwebten sich so viele Gestalten darin, daß mir die dichterische Form zu eng dafür wurde. Überdies fand ich, daß wir der belletristischen Prosa mehr bedurften. Unsere Zeit hat viele Dichter, die die Neigung aber, Poesie zu lesen, die Schwärmerei dafür, die Freude daran hat seltsamerweise sehr abgenommen.

Die aus dem Unglauben hervorgehende, allein auf sich beruhende Kraft habe ich in der Heldin Daniella zeichnen wollen. Ein wenig mahnte mich die schon erwähnte Freundin mit dem scharfen Geist und der vernichtenden Kritik an diese Art Charaktere. Sonst entnehme ich mir mit Bewußtsein die Persönlichkeiten dem wirklichen Leben, noch weniger die Fabel und Geschichte. Es muß alles frei erfunden, gewissermaßen Neugeschaffenes sein, sonst ist es hölzernes Machwerk. Wie das Wasser aber den Geschmack der Erdschicht annimmt, durch die es zieht, so tragen auch die Gedankenbilder unwillkürlich die Farbe derer, zwischen denen unsere Lebentage dahinfließen.

Wie immer, habe ich lange auch an Daniella gearbeitet. All die Gestalten mußten sich gewissermaßen erst geistig formen.

Die Geschichte jener Frau, die durch das richtige Erfassen ihrer Lebensstellung und durch ihre geistige Bildung die in Prosa und Unbildung verkommene Familie wieder zu erheben weiß, war zum Teil auch dem Leben entnommen, ganz anders aber bringt es doch die Fiktion.

Auch Rother war ein Charakter aus dem Leben – indes nur der Typus lehnt sich an die Wirklichkeit und hat gar nichts mit der erzählten Geschichte gemein. Eben dieser sonnige, vielseitige Charakter trat damals häufig in unseren täglichen Kreis. Wir waren seit früher Jugend bekannt und befreundet und Gott Dank lebt er noch heute in frischer Kraft. Er hat damals, bei Daniellas Schaffen, mir oft seine Zeit gewidmet, so daß ich ihm vorlesen durfte, und seine sympathische Teilnahme war mir von großer Hilfe. Es mißfiel ihm später sehr, daß ich ihm im Roman ein so schreckliches Ende bereitet hatte.

Daniellas zweiter Teil wollte mir nicht so gelingen wie der erste Teil. Zu diesen wilden Pariser Lebensbildern fehlte mir die Kraft und die Kenntnis, und da würde Veremundus mit Recht sagen: „Die Macht der Leidenschaft“.

Hätte mir da die Kraft nicht versagt, dann hätte das Buch höheren Wert gehabt und noch mehr Interesse gefunden. Sonst glaube ich, hat es in der Darstellung der Charaktere wie in seinem ganzen Aufbau manchen Vorzug vor der Tochter des Kunstreiters. Stellen wie die, wo Hermanns Mutter mit dem Sohne über des Pflegesohnes Beruf redet, und später die Stelle, wo Rother den Pflegebruder davon abhält, sein Gut aufzugeben, ebenso wie der Tod Rothers, hat die Tochter des Kunstreiters nicht aufzuweisen, und es ist doch unmöglich, sie didaktisch aufzufassen.

Auch die Figur des Grafen Holdern muß nicht übel geraten sein. Ich erhielt damals verschiedene Briefe, die in Holdern eine bestimmte Persönlichkeit erkennen wollten; dem einen zufolge sollte er ein Kurländer Baron sein, dem anderen gemäß ein Herr aus Westfalen. Ich kannte weder den einen noch den anderen, zog aber den Schluß daraus, daß das Lebensbild doch Leben und Wahrheit haben mußte. Ich bin in jener Zeit viel zu ausgiebig gelobt worden, weil Daniella eben der erste Kulturroman war, der auf katholische Anschauungen sich aufbaute. Er wurde daher von der katholischen Presse sehr freudig begrüßt.

Ich habe mich indessen nicht dadurch beirren lassen, seine Fehler recht herauszufühlen. Ich hatte selbst zu viel gut Geschriebenes gelesen, um nicht zu wissen, daß mein Stil sich nie ganz von einer gewissen Steifheit befreit hat, z.B. nie dem eleganten, schneidigen Stil der Gräfin Hahn gleichkommt. Über manche Kritik habe ich daher gelächelt, wenn sie in der Freude, daß auch auf katholischem Boden einige Blüten nach der Welt Geschmack sich entfalteten, nun wahre Posaunentöne des Lobes ausstieß. Herr Dr. Alfred Muth,[7] mein liebenswürdigster Kritiker, trug die Farben am stärksten auf und war anderer Meinung als sein Nachfolger gleichen Namens[8]. Beide sagten zu viel.

Währenddem ich Daniella schrieb, traf mich ein herber Schmerz, der tief in mein Leben griff. Er änderte nichts nach außen – aber es war eine jener Lücken, über welche die Zeit erst langsam eine Brücke baut. Es war gut, daß die Arbeit vollendet werden mußte, doch wurde sie dadurch um vieles später fertig.

Als ich sie beendete, war das Jahr 1878 schon einige Monate alt. Der Tod Pius´ IX.  und die neue Papstwahl hatten die Welt beschäftigt. Seitdem Leo XIII. den päpstlichen Stuhl bestiegen, war der Gedanke, ihm durch Pilgerzüge aus allen Ländern zu huldigen, allgemein geworden. Man wollte der Welt zeigen, daß in unseren Augen das Papsttum an Glanz und innerer Macht noch gewonnen, daß die Liebe zu ihm sich nur vermehrt hatte nach all den Stürmen. Als im Mai der Pilgerzug der Deutschen nach Rom ging, regte sich in mir nicht allein, – das will ich gestehen, – der edle Wunsch, daran teilzunehmen, sondern auch die alte Reisesehnsucht. Die Möglichkeit der Reise lag vor; durch einen Verwandten, der sich dem Pilgerzuge anschloß, hatte ich auch Begleitung. Schwerer war es, die Zustimmung meiner Mutter zu erlangen, die es gar ungern sah, wenn ich mich von Haus entfernte. Aber ich war müde von dem Erlebten, müde von angestrengter Winterarbeit. Meine Mutter hatte Besuch und Pflege einer Freundin. Mein ältester Bruder und dessen Familie lebte ja im Hause, mein anderer Bruder wollte ebenfalls mit seiner Frau kommen, um sie in meiner Abwesenheit zu besuchen, und sechs Wochen war ja keine lange Zeit.

Sehr zaghaft trug ich es meiner Mutter vor. Sie nannte es einen „recht überflüssigen Einfall“, fand ihr Töchterchen wieder einmal schrecklich unruhig – ich war, nebenbei gesagt, noch niemals drei Monate von Haus entfernt gewesen, – sie sagte aber nicht Ja und nicht Nein, und ich nahm dann keck das Ja an.

Die Reisevorbereitungen waren rasch getroffen – aber Daniella war noch nicht ganz fertig. Ich hatte mir jetzt angewöhnt, die letzte Kopie zu diktieren, was für den Manuskriptleser wie für den Setzer von großem Vorteil war; aber auf dem Lande waren die Schreiber schwer zu finden und eine bunte Reihe von Handschriften habe ich nach Köln eingesandt.

Die Lehrerin meiner kleinen Nichte leistete mir diesmal den Dienst; ich konnte nicht eher reisen, bis das Manuskript fertig war, und der Tag der Abreise stand vor der Tür.

Es schlug Mitternacht, als ich die letzten Worte diktierte – das Werk, das mich fast zwei Jahre beschäftigt hatte, war fertig[9], die Reise nach Rom sollte angetreten werden – und in dem Augenblick hatte ich niemand, der so recht das eine und das andere verstand. Ich brach unwillkürlich in eine Flut von Tränen aus, was nicht leicht meine Art war.

Dann aber siegte die Freude. Am anderen Morgen wurde gepackt, und am Nachmittage saß ich schon auf der Bahn zum ersten Reiseziel, wo ich mit meinem Vetter zusammentraf.

  1. Erste Romreise.

            Ja, das war eine schöne Reise! So übermütig gings in die Welt hinein. Ich fürchte, die rechte Pilgerstimmung war es nicht. Wir nahmen sogar zuerst den Weg über Paris, wo die Weltausstellung eben eröffnet war. Wir konnten indessen dem allen nur die knappste Frist widmen. Sechs Wochen lang schwelgte ich aber in immer wechselnden Eindrücken; da war es, als sei die Jugend noch einmal gekommen, da war es, als sei für einen Moment alles Schwere des Lebens fortgenommen.

In Drei Sommermonate auf Reisen habe ich ein Jahr später die Reise Eindrücke niedergelegt. Sie erschienen zuerst im Feuilleton des Westfälischen Merkur, später als Buch im Verlag von Arnold Weichelt zu Hannover. Es war kein erhabenes Werk; aber als ich 18 Jahre später noch einmal des Weges zog, habe ich doch alle Eindrücke, die ich darin niedergelegt, bestätigt gefunden.

Bedauert habe ich damals nur, daß ich so ganz ohne Vorbereitung die Reise antrat. Den ganzen Winter hatte ich mich nur mit meiner Arbeit beschäftigt. Nun lag Paris, Rom, Neapel, Florenz vor mir, ach, und die Lawinen von Geschichte, Kunst, Kirchen, alten und neuen, alles stürzte über mich her. Bei meinem bißchen Glorie als Autorin glaubten die Menschen ohnehin, ich müsse alles wissen, und ich erlebte in dieser Hinsicht manch kläglichen Schiffbruch.

Wenn die Menschen überhaupt sich doch von dem Gedanken losmachen wollten, daß man als so ein Stück Dichterling zu den Gelehrten zähle! Eine rezeptive Natur ist ganz etwas anderes als eine schaffende. Es brodeln einem da so viel Gedanken im Kopf, daß schwer etwas anderes hineingeht

Und wo bleibt die Zeit zum Studieren wenn man, besonders als weibliches Wesen, auch eine Ehre darein setzt, alles, was in das Gebiet gehört zu erlernen, und sich doch auch immer darauf angewiesen sieht, dem nachzukommen?

Das hinderte aber nicht, alles Schöne und Große und Ernste und Frohe gründlich zu genießen. Meine eiserne Gesundheit bewährte sich dabei auch. Auf der Hinreise fuhren wir meist die Nächte durch, um die Tage den Besichtigungen zu widmen. So reisten wir von Paris des Morgens gegen zehn Uhr ab, fuhren den ganzen Tag und die Nacht durch und langten dann um zehn Uhr morgens ungefähr in Turin an. Da es ein Sonntag war, gingen wir von der Bahn direkt zur Kirche, eine hl. Messe zu hören, besuchten darauf alle Museen, wanderten und fuhren den ganzen Tag durch Turin, um abends zehn Uhr unsere Reise nach Rom fortzusetzen, wo wir anderen morgens gegen elf Uhr ankamen, uns sofort umkleideten und zur Besichtigung von Rom übergingen.

Ich habe die sechs Wochen in ähnlichem Trubel durchlebt und nur ganz zuletzt einige Müdigkeit empfunden. Als ich wieder in der Heimat ankam, hielten freilich die Kräfte nur noch einen Tag mich aufrecht. Dann schlief ich drei Tage lang fast ohne Aufhören, war danach aber wieder ganz frisch.

Auf der Rückreise von Italien suchte ich mein liebes altes Würzburg wieder auf, wo ich zwanzig Jahre vorher zuerst die große Welt und ihre Freuden kennen gelernt hatte.

Meiner Mutter Jugendfreundin, eine Prinzeß Salm, die uns damals eingeladen und mir diese Lebensfreude verschafft hatte, deren Güte und Liebe mir manchen Tag meines Lebens verschönte, lebte noch und nahm mich abermals sehr freundlich und herzlich auf.

Es war ein eigener Eindruck, wieder dort zu sein und ein Teil der damaligen Gesellschaft wiederzusehen. – Zwanzig Jahre sind in jedem Leben, besonders aber im Frauenleben ein großer, großer Zeitraum. Mir hatte er mehr gebracht wie genommen; während so viele meiner schönen Mitschwestern von der Bühne des Lebens gewissermaßen abgetreten waren, war ich eigentlich erst hinaufgestiegen.

Daß mir die Bücher ein bißchen gelungen waren, gab mir bei den Menschen viel mehr Ansehen, als ich jemals geträumt hatte. Ich hatte zwanzig Jahre vorher meinen Platz in der Gesellschaft ganz leidlich behauptet, hatte meine kleinen Erlebnisse und Eroberungen gehabt; aber die Welt hatte sich doch nicht übermäßig um mich gekümmert. Jetzt kam man mir so eifrig entgegen, daß ich mir hätte ganz wichtig vorkommen können.

Am rührendsten war mir aber die Freude meiner lieben Prinzeß, deren selbstlose Engelgüte oft mein etwas trotziges Selbst gedemütigt und zur Erkenntnis geführt hatte. Wenn man jung ist, nimmt man soviel Güte als selbstverständlich hin, erst später sieht man die Größe derselben ein und wie selten dieselbe ist und wie viel man ihr verdankt. Ich ahnte in jenen Tagen nicht, daß es das letzte Mal war, daß ich ihr liebes gütiges Antlitz sah. Sie bat mich, noch etwas zu bleiben; doch wußte ich, daß meine Mutter meiner Rückkehr harrte. So reiste ich ab – und kaum vierzehn Tage später erreichte uns schon ihre Todesnachricht.

Auch eines anderen Bekannten, des Mannes einer Freundin, will ich noch erwähnen, dessen Künstlersinn und süddeutsche Heiterkeit stets eine große Rolle in unserem Freundeskreis gespielt. Ich traf ihn damals in Würzburg wieder, leider von einer qualvollen, schrecklichen Krankheit heimgesucht. Er wußte es, wollte es seiner Frau aber noch verbergen, und sein guter Humor hielt ihn selbst da noch aufrecht – schon einige Monate darauf erlag er gottergeben seinem schweren Leiden.

Mit seiner Frau bin ich noch heute in Freundschaft eng verbunden. Ihre große Frömmigkeit ist auch eine Flamme, an der sich unwillkürlich die Herzen derer entzünden, die mit ihr in Berührung kommen. Von Kindheit an war sie so dem Herrn ergeben, und eine wunderbare Heilung, die ihr zuteil wurde, wie unendlich viel Kreuz und Leiden haben die Gottinnigkeit stets in ihr genährt.

Das Jahr 1878 war ein Jahr der Bewegung für mich. Schon im August unternahm ich eine neue Reise, die ich meinen Geschwistern versprochen. Mein dritter Bruder lebte, wie schon erwähnt, in Holstein und ich sollte ihn dort aufsuchen und etwas bei ihm bleiben auf Wunsch seiner Frau.

Das waren nun wieder andere Bilder; Hamburg, Lübeck und das östliche Holstein mit seinen blauen Seen, seiner reizenden Gegend; so ganz andere Eindrücke wie die des Südens – das Leben bei den Geschwistern war ein so herzliches. Erst gegen Ende September kehrte ich zurück, um daheim wieder die Feder zur Hand zu nehmen.

            18.Am Heidstock und Prinzeß Ada.

Es entstand dann der Roman Am Heidstock. In demselben bin ich aus dem Salonleben herausgetreten. Es freute mich, einmal einen solchen Stoff zu behandeln, denn durch mein stetes Leben auf dem Lande war ich dem Volksleben von Kindheit an nahe getreten.

Seitdem ich erwachsen war, hatte ich mich für die Schulen interessiert, stand mit Lehrer und Lehrerin des Dorfes stets auf dem besten Fuße und die Kulturkampfzeit hatte die Zusammengehörigkeit mit der Gemeinde nur verstärkt. Mein Vater wie mein Bruder waren lange Jahre Vorsteher des Dorfes; da hörte man ja naturgemäß auch von den Nöten und Bedürfnissen des Volks; durch Arme, Kranke und Dienstboten war man in steter Berührung mit den Leuten. Es war viel Intelligenz im Dorfe, viel tüchtige Leute sind aus der Gemeinde hervorgegangen, die ihren Weg in der Welt gemacht haben und die es zu ansehnlichen Stellen und Vermögen brachten. Ich kann auch nur sagen, daß sie unserer Familie stets mit viel Achtung begegneten, und außer einer kurzen Zeit in den unruhigen Jahren 1848 und 1849 war das Einvernehmen zwischen unserer Familie und der Gemeinde ein sehr gutes gewesen. An Freud und Leid nahmen sie stets den herzlichsten Anteil, und noch heute bewahren sie meinem Vater wie meinem Bruder das rührendste Andenken.

So war mir das Volksleben fast näher liegend als das Salonleben und der Stoff zum Heidstock war dem Volksleben entnommen. Wer kann sagen, welches Samenkörnchen es gerade ist, das in der Phantasie des Dichters Wurzel faßt und da zur Blüte und Reife kommt? Einem kranken Freunde zu Ehren, der mir oft von seinen Jagdzügen zum Heidstock erzählt, – der, wie ich ihn beschrieben, in den Sauerländischen Waldungen sich fand – erhielt die Arbeit den Namen und den Mittelpunkt.

Im Jahre 1882 entstand dann die Novelle Prinzeß Ada. Charakterverschiedenheit zweier junger Damen, die mir auf meiner großen Reise nahe getreten waren, gab dazu die Veranlassung, doch stand die Fabel der Geschichte durchaus in keinem Zusammenhang mit ihnen.

  1. Familienveränderungen.

Der Anfang der achtziger Jahre war sehr ereignisreich in trauriger Richtung für mich, für unsere ganze Familie. Im Jahre 1881 verlor mein Bruder in Holstein seine Frau nach der Geburt eines Söhnchens, und vier kleine Kinder blieben mutterlos zurück. Ich war dort und durchlebte die ganze unsäglich traurige Katastrophe. Von Kindheit an mit meiner Schwägerin fast schwesterlich befreundet, hatte die Bande der Verwandtschaft das Verhältnis noch inniger gestaltet. So war ihr Tod für mich eine doppelte Lücke, und ihre Kinder waren mir unendlich lieb, sowohl um meines Bruders als wie ihretwillen. Ich hatte schon zweimal lange Zeit bei ihnen in Holstein geweilt und der Gedanke, jetzt den Kindern nach Kräften die Mutter zu ersetzen, lag nahe. Ich blieb die ersten Monate dort; doch konnte ich mich damals nicht länger von meiner Mutter trennen, deren Pflege mir erste Pflicht blieb.

Nachdem nach Kräften gut für die Kinder gesorgt war, ging ich in meine Heimat zurück, nahm aber die ältesten Knaben mit. Auch später hielt ich stets die Verbindung mit den Kindern fest; ich ging im folgenden Jahre wieder hin und sie kamen auch zu uns.

Im Jahre 1883 starb noch im besten Mannesalter mein ältester Bruder – ein kaum minder harter Fall.

Im November 1884 erlag dann meine liebe Mutter der Altersschwäche, die ihren zarten Körper früher ergriffen hatte, als man erwarten konnte. Im Jahre vorher, noch vor dem Tode meines ältesten Bruders hatte eine heftige Kopfrose ihre Kräfte sehr mitgenommen und auch ihren sonst so klaren Geist angegriffen. Eine große Gedächtnisschwäche war seitdem geblieben, die zeitweise alle ihre Vorstellungen unklar machte. Sie war sich dessen bewußt und es bedrückte sie sehr; tagelang aber merkte man auch wieder nichts davon und dann konnte sie recht heiter und teilnehmend sein. Alle ihre Anordnungen für ihr Ende traf sie sehr zeitig und mit großer Sicherheit, Klarheit und Umsicht.

In den letzten Wochen war ihr Verständnis wieder vollkommen klar und sie war unendlich liebevoll und zärtlich, was sonst weniger ihre Art war. Sie gedachte aller, auch des Sohnes in weiter Ferne, den fast 24 Jahre nicht gesehen, mit dem sie aber immer in lebhafter Korrespondenz gestanden. Sie unterhielt überhaupt stets einen lebhaften Briefwechsel mit den Söhnen und nie verließ einer das Haus, ohne nicht am nächsten Tage alsbald über seine Ankunft Mitteilung zu machen. So blieb sie in steter reger Verbindung mit Ihnen.

In der Nacht ihres Todes sollten meine beiden Brüder, der eine aus Holstein, der andere von Worms nach Welda kommen. Jeden Augenblick fürchtete ich, der letzte Atemzug könne eintreten, ehe die Söhne eingetroffen waren. Ihr fester Wille schien aber den Lebensodem festzuhalten. Als endlich beide zu gleicher Zeit anlangten, begrüßte sie noch beide auf das liebevollste, fragte nach meiner Schwägerin, die sie sehr liebte, und nach den Kindern und erinnerte daran, daß der eine Bruder, der die ganze Nacht durchgefahren, sich erquicken müsse. Aber kaum hatte dieser das Zimmer verlassen, so trat eine Veränderung bei ihr ein; mein Bruder kam sogleich zurück, wir sprachen die Sterbegebete und nicht zehn Minuten nach der Ankunft ihrer Söhne stand das liebende Mutterherz still.

Wenn ich den Todesfall unserer langjährigen Dienerin, unserer Haushälterin, mitzähle, war es das sechste Mal, daß ich am Todesbett von Menschen stand, die seit meiner Kindheit zum engsten Zirkel meines Lebens gehört hatten, denn auch am Sterbebett meiner Patin, der Schwester meines Vaters, war ich zugegen.  Sie war im Alter von 87 Jahren im Jahre 1876 gestorben, ein Bild von Kraft, Gesundheit und Geistesstärke bis zu ihrem letzten Hauch.

Der Tod meiner guten Mutter griff tief in mein Leben ein. Wenn ich im stillen wohl mal über Mangel an Freiheit geklagt, wenn es nach dem dreißigsten Jahr für eine selbständige Natur auch bei den liebevollsten Eltern nicht immer leicht ist, noch Kind zu sein, so war mir doch fast das Gefühl der Freiheit eher unangenehm als zusagend. Mein verwitweter Bruder und dessen mutterlose Kinder schienen mir nun die nächstliegende Aufgabe.

Meine Mutter hatte die Ordnung ihrer Sachen vertrauensvoll zum größten Teil in meine Hände gelegt. So hatte ich zuerst viel zu tun, wenn meine Brüder mir auch beistanden; zudem mußten beide sehr bald wieder ihren Berufspflichten nachkommen.

Von den lieben alten Dienern, die mit den Eltern alt geworden, lebte nur noch die schon oft erwähnte Kammerjungfer meiner Mutter, welche nun schon über 56 Jahre bei uns war.

Ich war noch niemals Weihnachten von Hause gewesen. So ging ich denn Weihnachten zur Schwester meiner Mutter, die mit ihrem liebevollen, warmen Gemüt mir stets sehr nahe gestanden hatte.

Im Frühjahr, nach meinem Besuch zu Worms bei meinen Bruder, der dort in Garnison stand, reiste ich dann im April wieder zu meinem Bruder nach Holstein und es war mir ein lieber Gedanke, dort die Sorge für die Kinder und deren Erziehung mit ihm zu teilen.

Im Monat September ging ich indessen noch einmal für längere Zeit nach Welda zurück. Unsere gute alte Henriette jammerte gar zu sehr nach ihrem Fräulein. O, nie werde ich ihre Freude vergessen, als ich ankam – ihr liebes, altes Gesicht mich so freudestrahlend begrüßte. Sie geleitete mich auf mein Zimmer, das sie mit Büchern und Blumen so schön geschmückt; dann aber kam das Schreckliche: beim Herabsteigen glitt sie auf der Treppe aus, fiel hin und zerbrach sich die Hüfte!

Drei Monate lag sie in großen Schmerzen, die sie sehr geduldig ertrug. Auch an ihrem Sterbebett stand ich, erhielt ihren letzten Gruß, ihren letzten Blick. Meine beiden Brüder kamen, sie in ihrem Leiden zu besuchen, was sie sehr freute.

  1. Die holsteinische Zeit.

Nach ihrem Tode ging ich nach Holstein zurück, um bei meinem Bruder zu bleiben. Ich hatte das Holsteiner Land mit seinen blauen Seen und die Menschen dort, die bei ihrer niedersächsischen Abstammung den Westfalen sehr ähnlich sind, schon kennen gelernt. Sie waren uns sehr freundlich entgegengekommen, schätzten meines Bruders Wirksamkeit als Landrat sehr und hatten ihn liebgewonnen, obschon sie erst empört gewesen, einen katholischen Beamten zu erhalten. Ich habe liebe Jahre dort verlebt, wenn sie mich dem Schreibtisch auch etwas entfremdeten. Die Sorge aber für die lieblichen Kinder, die in Ermangelung der Mutter sich der Tante warm anschlossen, war mir liebe Beschäftigung. Meinem Bruder hatte ich ja allzeit so nahe gestanden, daß ein Zusammenleben mit ihm mir nur lieb war.

Viele fremde Eindrücke wirkten auf mich ein, viele neue Bekanntschaften traten in den Kreis meiner Erfahrungen, und nicht bloß Bekannte, auch Freunde wurden daraus, Freundschaften, nicht minder echt und innig als die daheim. Es verkehrten die verschiedensten Menschen in unserem Hause. Die Landsitze Holsteins mit ihrer seßhaften Aristokratie hatten manche Ähnlichkeit mit unserem Adel daheim. In dem kleinen Kreisstädtchen Plön aber waren auch viele Personen des Mittelstandes, mit denen wir im freundlichsten Verkehr standen, besonders aus den Gymnasialkreisen. Ich denke noch oft mit Freuden und Wehmut an jene Jahre zurück: das freundliche Haus mit seinem hübschen Garten, mit den großen Linden und dem weiten Blick auf den blauen See. Unsere Segelfahrten auf dem See zählen dabei zu den lustigsten und liebsten Erinnerungen.

Zu den nächsten Bekannten des Hauses gehörten Menschen von großer Frische und Anregung. Unsere Freundin, ein Gräfin Bernstorff die Tür an Tür mit uns wohnte, hatte jene eigentümliche Geistesfrische, die wie eine frische Seebrise anmutet. Sie war stets ganz erfüllt von irgend etwas, einer Schönheit der Natur oder von irgend einem Kunsterzeugnis, und sie hatte immer irgend einen Plan. Erzählend oder disputierend, mit den Kindern singend, als sei sie selbst ihr jüngster Kamerad, war es stets eine Erfrischung, wenn sie kam. Ja es war eine schöne Zeit, die nur den tiefen Schatten hatte, daß man dort von der Kirche so weit entfernt war: vier Stationen bis Kiel, zwei bis Eutin – und doch hatten gerade diese Missionskirchen solchen Zauber für mich. Erst hatten wir sogar in Eutin nur einen Betsaal, sehr eng, sehr muffig. Wegen der mangelhaften Eisenbahnverbindung mußte man mit einem Omnibus hinfahren. Es wohnte in Plön selbst nur noch eine katholische Kaufmannsfamilie; aber von der konnte man auch lernen, was fester Wille vermag, und wie selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen echte kirchliche Gesinnung blühen kann. Die beiden Geistlichen, der in Kiel und der in Eutin, waren ausgezeichnete, würdige Männer, besonders der in Eutin ist mir sehr viel geworden an Halt und Trost.

Aus dem Betsaal in Eutin war in jenen Jahren durch des Geistlichen eifriges Wirken ein Notkirchlein und später aus dem Notkirchlein eine schöne Kirche, so lieb und traut, wie mir wenige Kirchen geworden sind. Eutin war wie ein verlorener Posten an der Stelle, die Gemeinde so klein, darunter manche, die erkaltet waren, die nicht mehr auf die Stimme des Hirten hörten. Und wie bedarf es da der Klugheit, des heiligen Eifers, der Geduld, um immer wieder die Schäflein zu sammeln, die oft nur so vorüberziehend da weilen. Man kann nicht hoch genug von diesen Missionspriestern denken, die des Apostolats in Wahrheit walten, so oft ohne alle die Freuden, die in katholischer Gegend das Priesteramt erleichtern. Selbst die Ordensgeistlichen können nicht mit ihnen wetteifern, denn sie stehen allein, ohne den Halt der Gemeinsamkeit. Und doch, wie fest müssen sie stehen! der leiseste Fehltritt rächt sich schwer. Ich bin sehr glücklich, daß die Bekanntschaft mit diesen Missionspriestern mir zuteil ward.

Eutin und Kiel bargen für uns außerdem gastliche Häuser, wo man nach dem Gottesdienst manche gute Stunde zubrachte. Besonders denke ich gern an das gastliche Haus des Kammerherrn von Weddeskop, eines Jugendfreundes meines Bruders, eines kunstsinnigen, fein durchgebildeten Mannes, von dem man nie fortging, ohne nach irgend einer Richtung seinen Geist bereichert zu haben. Seine Frau war eine Bremenserin, mit dem so schlichten Sinn jener Stadt und dem so warmen, gefühlvollen und gläubigen Herzen. Sie hatte ein echt Stück altern Luthertums in sich, aus dem man die katholische Grundlage noch durchfühlte.

Es war ein reizendes Familienleben in dem Hause, das mich oft an Stolbergs Art und Weise vor seiner Konversion erinnerte.

Und dann deine Villa, du heiterer Freund, der den Säbel mit der Feder vertauscht und sich im stillen Eutin ein so lauschiges Heim geschaffen hatte! Wie gern denke ich zurück an die wohnlichen Gemächer, wo es sich so lustig plauderte, an das Speisezimmer, wo so köstliche kleine Diners und Soupers sich abspielten: Diners und Soupers, wo die Menüs gut, die Weine köstlich, aber besser als beides doch die Unterhaltung war, wo Scherz und Ernst wechselten, der erstere aber die Oberhand behielt; wo hin und herüber ein geistvolles Wort das andere gab und bald dies und bald jenes Thema sich zu heiterer oder ernster Diskussion ausspann. Wie selten kennt unsere Zeit noch solche Zusammenkünfte, wo man sich wirklich amüsiert und unterhält, wo man nicht nur daran denkt, den Reichtum, die Eleganz, den Chic des Hauses darzutun, sondern wo das alles nebensächliche Zutat bleibt, wo es hauptsächlich gilt, sich und seinen Gästen eine frohe Stunde zu bereiten und es sich mehr darum handelt, das Beste zur Unterhaltung beizutragen, als viel Luxus zu entfalten.

Dort wurde im fröhlichen Beisammensein nicht ängstlich damit gerechnet, ob auch rasch genug serviert wurde, damit nur möglichst schnell die ganze Geschichte vorbei wäre, als ob es nur Pflicht und Last sei! Nein, da vergaß man Zeit und Stunde, immer wieder klang Glas an Glas, begleitet von fröhlicher Rede, und es kam vor, daß der Hausherr aufstand, an das Instrument ging und ein frohes Lied anstimmte oder ein schönes Gedicht deklamierte, indessen die ernstere, jüngere und sehr gebildete Hausfrau alles in den gebührenden Schranken hielt.

Es waren gmütlichfrohe Stunden – anders wie alle anderen, die das Schriftstellerheim bot.

Das Geschick des warmherzigen, lebensfrohen Hausherrn war ein eigenes gewesen. In kargen Verhältnissen geboren und erzogen, anspruchslos und lebensfroh, war er Militär geworden und hatte, wie der Unbemittelte es stets sorgloser tut als der Reiche, sein Herz früh an ein eben so unbemitteltes Mädchen verloren. Wo man erfahrungsmäßig weiß, daß sich auch mit wenig leben läßt, sieht der Mensch das Leben leichter an, faß leichter einen Entschluß, als wo man viele Bedürfnisse zu Rate zieht. Durch die Gnade des Königs hatte das Pärchen einer schon jahrelangen Verlobung ein glückliches Ziel setzen können – die Karriere lag ja vor ihnen, wo es allmählich immer besser ging. Kaum aber hatten sie etwa ein Jahr ihr Glück begründet, da brach der Krieg von 1870 aus. Die junge Frau blieb daheim mit einem kleinen Kinde. Alles, was Leben und Bewegung hieß, war ihrem Gemahl willkommen, und er zog frohherzig aus. Bei Gorze trafen ihn sechs Kugeln und nach der schweren Verwundung mußte er die Nacht draußen zubringen, nur notdürftig verbunden. Er genas trotz alledem und seine mutige kleine Frau kam, ihn zu pflegen. – Er liebte es, seine Geschichte von Gorze zu erzählen: u.a. wie er die Rose, welche ihm dem schwer Verwundeten, das Haustöchterchen gebracht, dem Kaiser überreichen ließ, der eben in Gorze einrückte. Als Invalide kam er zurück; seine kleine Frau aber erlag noch im selben Jahre dem Leiden, das ihr die Anstrengung zugezogen.

Am Weihnachtsabend des folgenden Jahres saß er einsam mit seinem Töchterchen da, – traurig und trostlos – als eine Kiste ankam. Der Kaiser hatte nachgeforscht, wer der verwundete Offizier gewesen, der ihm die Rose verehrt – und sandte ihm jetzt ein schönes Ölbild. Auf dem Rahmen aber war die Rose angebracht.

Das Leben wurde ihm dann bald wieder freundlicher. In seiner langen Haft, die seine Rekonvaleszenz erheischte, fing er an, kleine schriftstellerische Arbeiten zu versuchen; es gelang, und bald war er ein beliebter und gern gelesener Schriftsteller geworden, dem seine Feder ein behagliches Dasein schaffte. Er hatte aber auch eine neue Lebensgefährtin gefunden, die selbst noch reiche Mittel mitbrachte, aber auch als Frau von Geist und Wissen mit großer Anmut ihrem Hause vorstand und mit vieler Liebe seine übersprudelnden Lebensgeister in Schranken zu halten wußte.

Er rührte mich oft durch sein schlichtes Gedenken jener Zeiten, wo er nicht solchen Überfluß kannte. „Meine arme Mutter, könnte ich sie einmal an meinem Teetisch sehen!“ sagte er einmal zu mir. „Ach, ihr wurde es so schwer; sie konnte uns niemals kaltes Fleisch abends geben …. und jetzt habe ich alles so reichlich.“

Ja, sie bleibt immer in meiner Erinnerung, die grünumrankte Villa, der Garten mit dem Reichtum an alten Blumen, die er so liebte, weil er sie immer als Kind gesehen hatte.

Es war ein poetisch Fleckchen Erde und der Hausherr mit seinem roten Fez auf dem Kopfe und seinem hinkendem Gang, da ihm noch eine Kugel in der Hüfte saß, hatte viel mehr echte Poesie in seinen Gedanken, als seine Romane und Novellen es zeigten.  Seine kleinen Sachen waren übrigens oft reizend, und in seinen größeren Romanen waren die einzelnen Charakterschilderungen recht hübsch. Jedesmal, wenn ich seine Bücher sehe, die immer noch gern gelesen werden, – er selbst ist ja leider schon vor mehreren Jahren einem schweren Leiden erlegen, das jenen schrecklichen Verwundungen entsprang – nimmt mich die Erinnerung an ihn und sein Haus gefangen.

An den Sonntagen, wo ich meist bei dem einen oder dem anderen der Freunde einkehrte, war das sog. Voß-Haus zu Eutin unsere Zuflucht für die langen Stunden, die oft zwischen der Beendigung des Gottesdienstes und dem nächsten Zuge lagen.

Das hatte der Dichter der Luise sich gewiß nicht geträumt, daß sein Name und sein Haus einst zum Wirtshausschild werden sollten. Aber immerhin, es war ein behagliches Wirtshaus geworden, wo alles an Voß mahnte und erinnerte. Die Fensterscheiben zeigten die Geschichte Luisens, die Wände trugen Zitate aus Vossens Schriften, und kleine, trauliche Kabinette lockten zum Trinken oder Ausruhen. Manches Stündlein habe ich da zugebracht; meine Bücher nahm ich mit mir und las dort, bis die Zeit der Rückfahrt kam.

In Kiel war es das Haus des Grafen Hahn, eines Neffen der Schriftstellerin Ida Hahn-Hahn, in dem wir viel und gern verkehrten. Das Gut Neuhaus lag im Kreise meines Bruders, und auch dort sind wir wohl des Sommers zur Kirche gewesen. In der Kapelle hängt noch das Muttergottesbild, das Gräfin Hahn-Hahn in ihrem schönen Gedicht der lauretanischen Litanei: „Du getreue Jungfrau“ verewigt hat.

Der Hafen von Kiel, das Seetreiben dort, alles war mir neu und bot Anregung.

Eine kleine Reise nach Kopenhagen, ein Aufenthalt in Berlin mit einer Fahrt nach Rügen verbunden, fällt auch in jene Jahre.

 

  1. Im Streit der Zeit.

Der Spinnlehrer von Carrara

und kleinere Arbeiten.

Wenn ich mich in dieser Zeit aber auch vorwiegend dem Haushalt und den Kindern meines Bruders widmete, brauchte die Feder doch nicht ganz zu ruhen. Ich hatte schon, als meine Mutter noch lebte, den Roman Im Streit der Zeit entworfen und mich mit seiner Ausführung beschäftigt. Ich schreckte aber noch vor der Aufgabe zurück und schrieb erst den Spinnlehrer von Carrara, angeregt durch eine Dame, den alten Bildhauer Wilh. Achtemann in Rom lange Jahre gekannt und ihm sehr befreundet gewesen war. Er hatte ihr einen Teil seiner Lebenserinnerungen diktiert, und daraus entnahm ich den Stoff der Erzählung. Ich hatte erst gedacht, denselben dramatisch zu behandeln und verlor ziemlich viel Zeit mit dem Versuch. Auch einige Übersetzungen aus dem Französischen hatten mich in jenem Jahr beschäftigt, ebenfalls ein langer Aufsatz über die Lektüre; doch alles dies war nicht zur Reife gekommen.

In den Jahren von 1885 bis 1889 beendete ich aber den Spinnlehrer von Carrara, schrieb die Märchennovelle Vom alten Stamm und noch eine kleine Novelle: Verschiedene Wege, später benannt: Wem gebührt die Palme? die damals zuerst im Deutschen Hausschatz erschien.

Einige Gelegenheitsdichtungen ausgenommen, habe ich seitdem ich Prosa schrieb, wenig oder gar nichts gedichtet.

Im Jahre 1889 verließen wir Holstein wieder, da mein Bruder sich an die Regierung nach Kassel versetzen ließ. Der große Umzug, die neuen Verhältnisse, Beschäftigung im Haus und Geselligkeit außer dem Haus nahmen viel Zeit in Anspruch.

„Im Streit der Zeit“ hatte ich noch in Holstein begonnen und bereits zu verschiedenen Kapiteln gebracht, manche Vorarbeit schon vorgenommen. Es war aber keine leichte Sache, all die nötigen Notizen zusammenzustellen und besonders den Faden der Geschichte immer an die rechten Momente zu knüpfen. Da sind manche Kapitel drei-, vier- und fünfmal geschrieben, ganze Berge von Manuskript sind zu Tage gefördert worden und die wurden dann so lange umgearbeitet, bis nur die Quintessenz blieb. Wäre das ganze Manuskript zum Druck gekommen, hätten wohl sechs Bände nicht gereicht.

Ganze Monate hindurch ließ ich oft die Arbeit ruhen, weil andere Pflichten meine Zeit in Anspruch nahmen; dafür arbeitete ich zu anderen Zeiten um so emsiger daran, konnte mir in der Stadt auch manche Quellen leichter verschaffen als bisher. Dennoch ging das Jahr 1895 schon zur Neige, als die Arbeit endlich beendet war.

Ich hatte die letzten Monate von Oktober bis Dezember in Köln zugebracht und dort war ich mit der Verlagshandlung, der Redaktion und dem Korrektor stets in Verbindung, die letzte Hand an das Werk zu legen; es wurde da noch einmal ganz durchgearbeitet und noch bedeutend gekürzt. Am 14. Dezember 1895 war es vollendet.

Ich fasse es als mein bestes Werk auf, das am meisten durchdachte und am besten durchgearbeitete. Nun, in allen meinen Werken habe ich stets danach gestrebt, ihnen eine künstlerische Gestaltung zu geben, habe nie sie nur als Erzählung betrachtet, woran, nach meiner Ansicht, unsere katholische Belletristik fürwahr etwas krankt. Man hat sie zu lange – eben auch von kirchlicher Seite – nur als etwas Nebensächliches, eigentlich Schädliches, aber in möglichster Verdünnung allenfalls zu duldendes Element betrachtet. Es hat das verhindert, daß sich auch tüchtige Männer dafür begeisterten und auf diesem Gebiet schafften, wie es bei der akatholischen Literatur der Fall ist. Vielfach glaubten unsere Autoren genug zu tun, wenn sie nur der Tendenz huldigten.

Das, wonach ich strebte,, habe ich gewiß nicht in dem Maße erreicht, als ich es ersehnte, und fühle selbst die Mängel nur zu gut durch. Indessen nur Lumpen sind bescheiden, hat ein großer Mann gesagt, und so sage ich kecklich selbst zu Veremundus: Machts mir nach und faßt das Bild einer bewegten Zeit und so großen Zeitraumes in so engen Rahmen zusammen, daß es wahrheitsgetreu euch aus den einzelnen Persönlichkeiten, aus dem Konflikt der Verhältnisse entgegenblickt! Warum das jedes Kunstwertes bar sein soll, wie der genannte Kritiker sagt, sehe ich nicht recht ein. Warum soll denn nur der Konflikt menschlicher Leidenschaften gelten? Es ist der große Konflikt unserer Zeit, der sich darin spiegelt. Ich gebe zu, daß ich auch darin mein Naturell habe walten lassen und nicht die gewaltigen Aktionen, sondern mehr deren Wirkungen zum Thema nahm – aber mehr Feuer der Leidenschaft hätte gut getan, sagt man.

Aber ist ein stiller Heldenmut, wie ihn Vehrenberg zeigt, ist ein duldender Opfermut, der lieber sein ganzes Lebensglück scheitern sieht, als seine Überzeugung zu opfern – ist das ohne poetischen Wert? Was das Drama fordert, braucht der Roman nicht – Booz-Dickens, Bulwer, unsere größten Romanschriftsteller, haben das zur Genüge bewiesen.

Mein Teil Poesie lasse ich mir nicht abdisputieren – dazu bin ich zu zäher Niedersachse, der das was ihm zu eigen, bis aufs letzte verteidigt. Ebenso lasse ich es nicht gelten, daß ich als westfälisches Edelfräulein nur blaublütige Gestalten zu zeichnen wüßte. Im Heidstock kommt kein Tropfen blaues Blut zur Geltung, und ich frage jeden, ob das keine lebenswahre Personen sind? Die Familie Hellbrink im Streit der Zeit ließ die Leser in unserem Dorf sagen, daß es „gerade sei, als wenn sie sich selbst hörten“ – und das war mir eine große Freude. Eine Kunst war das, nebenbei gesagt, nicht. Wenn man sein Leben so auf dem Lande und so in stetem Verkehr mit den Menschen dort zugebracht hat, wie ich es getan habe – muß man sich in ihr Leben hineindenken können. Bäuerische Romanfiguren voll künstlicher Naivität zeichnet man dann nicht, sondern die Leute wie sie schlechtweg sind, wie sie der Unterricht und der Verkehr mit der Welt, der ihnen fast alle nahe tritt, herausgebildet haben.

Daß mich auch das Volk gern liest, ist mir stets eine große Genugtuung gewesen. keine Kritik, und wenn sie noch so lobend gewesen, hat mich daher auch so gefreut, als der Ausspruch des Bibliothekars in einer unserer größten Strafanstalten: „Fräulein von Brackel …. ja die ist die beliebteste Dame des ganzen Zuchthauses!“       A bissel zweifelhaft klingst schon, aber gefreut hat´s mich unbändig.

  1. Zweite Romreise.

            Die letzten Lebensjahre.

Nachdem ich den Roman beendet, gönnte ich mir eine große Erholung. Noch einmal den Süden, noch einmal Rom zu sehen, und nicht so flüchtig wie damals, war mein sehnlichster Wunsch seit lange.

Jetzt hielten mich keine Pflichten zurück, der Entschluß war rasch gefaßt. Wie damals bei Daniella, war kaum die letzte Seite fertig, als ich auch schon mich zur Reise rüstete.

Am 16. Dezember 1895 reiste ich mit einer Verwandten ab; eine junge, frische, lebensvolle Natur neben sich zu haben bei solchem Genuß ist eine große Wohltat. Außer            der Arbeit hatte mich in der letzten Zeit viel belastet, so daß ich nicht so jauchzend hinauszog als damals. Dennoch war es ein köstlich Ding, so in aller Ruhe alles genießen zu können. Fünf Monate verlebten wir im schönen Süden; Rom hatte den Löwenanteil davon. Wir reisten hin über München, Innsbruck, Venedig, Loretto; wir kamen zurück über Florenz, Spezia, Genua, Mailand, gingen zu den oberitalienischen Seen und dann zurück in die deutsche Heimat.

Eine Fülle neuer Bilder traten vor die Seele, eine Fülle neuer Menschen kreuzte den Lebensweg und einige davon ketteten sich doch ein in die Reihe der Freunde, die wir dann weiter mitnahmen ins Leben. Wir hatten das Glück, in Rom den heiligen Vater mehrmals bei öffentlichen Festen zu sehen, einmal  auch bei einer Audienz, die er in seiner Huld auf wirksame Fürsprache uns gewährte.

„Ich denke mir, Sie werden jetzt immer in Rom bleiben, Rom hält fest,“ sagte Leo XIII. zu mir in seiner so überaus huldreichen Weise. Ich stutzte bei dem Wort – meine Aufgabe in der Heimat war erfüllt – aber nein, im selben Augenblick fühlte ich, daß mir das doch unmöglich sein würde, daß mein Herz mit jeder Faser an der Heimat hing, und daß mir nichts die ersetzen könne.

Seitdem ich in der Heimat zurück bin, ist mein Aufenthalt wieder Welda, das Gut meiner Eltern, wo mein Wohnungs- und eigentliches Heimatsrecht immer war. Es ist jetzt im Besitz meines Neffen, des einzigen Sohnes meines ältesten verstorbenen Bruders, der mit einer Gräfin Hahn, der Großnichte der Gräfin Ida Hahn-Hahn, verheiratet ist. Eine neue Generation blüht da schon auf, und wenn man auf die dritte Generation sieht, weiß man, daß man nun zu den Alten zählt.

Ohne häusliche Sorgen jetzt, habe ich in den letzten Jahren die Feder wieder eifriger geführt. Der schriftliche und persönliche Verkehr mit meinen Brüdern – auch der so lange in Mexiko weilende Bruder kam nach dreiunddreißigjähriger Abwesenheit wieder und lebte, auch der Schriftstellerei huldigend, jetzt wieder in Deutschland, – mit den Kindern meines Bruders, besonders meinen lieben, langjährigen Pflegekindern, nimmt mir noch viel Zeit in Anspruch. Ein großer Kreis von Freunden und Bekannten, literarischer und unliterarischer, erheischte eine große Korrespondenz  und ich war auch ziemlich mobil diese Jahre, bald hier, bald dort. Dennoch veröffentlichte ich verschiedenes. Im vorigen Jahre gab ich eine Novelle heraus, die ich mit einer in der Kölnischen Volkszeitung 1897 erschienenen vereinigte: „Frühlingsrausch und Herbststurm“ und: „Nur eine kleine Erzählung“; sie wurden in anderem Verlage – bei Roth in Stuttgart (1898) – verlegt, weil die erstgenannte Novelle für einen dort erscheinenden Almanach bestimmt war, aber die vorgeschriebene Größe überschritt.

Sonst bin ich der Bachemschen Verlagshandlung in Köln stets getreu geblieben und habe mich dessen nur zu freuen gehabt.

Jetzt kürzlich[10] ist im Feuilleton der Kölnischen Volkszeitung noch eine Novelle von mir erschienen: „Nur eine Nähmamsell war sie“, deren Titel ängstliche Gemüter schon die Nase rümpfen ließ. Ich hoffe aber, auch das ängstlichste Gemüt darin nicht beunruhigt zu haben.

So, das wäre nun alles, was von meinem Leben die Menschen allenfalls interessieren könnte und das ich auch Lust hätte, ihnen von mir zu erzählen

Was soll ich im großen Ganzen von mir sagen? Ich bin ganz und gar meines Landes Kind. Was Annette Droste über die Paderborner schreibt, mit Ausnahme des Schnapstrinkens und des Barfußlaufens (alles sitzt auch im Volk veraltet, wie das Holzstehlen), paßt ins Bild. Das Widerspruchsvolle, etwas Disputarisches muß ich auch zugeben, selbst einen Strich von Leichtsinn, Nicht umsonst lautet mein Lieblingsspruch:

Etwas Leichtsinn segnet Gott,

Und zu viel Pflichtgefühl schadet immer.

Wo ich den edlen Satz einst fand, weiß ich kaum; ich glaube in Geschwisterleben von Friederike Bremer, einer fast verschollenen Autorin, die, ein Quantum Sentimentalität abgerechnet, prächtige Charakterbilder zu geben wußte. Den Satz aber fand ich wahr und machte ihn mir zu eigen. Bin ich ernster gestimmt, so sage ich: „Nimm alles Kleine und Nebensächliche klein und leicht; nimm alles Große und Ernste ernst und schwer. Das ist die Kunst des Lebens und der Heiligen.“

Einige Menschen wollen nun behaupten, daß ich trotz meiner so fest behaupteten Landeseigentümlichkeit ein gut Teil französischen Blutes ererbt und manchen Charakterzug von meiner französischen Großmutter mitbekommen habe. Unter alten Papieren fand ich einen Vers, den ich vor langen, langen Jahren über den besagten Punkt zu Papier gebracht und der wohl etwas Wahres haben mag:

Das deutsche Blut würd´ immer träumen

Wenn der wälsche Tropfen nicht drinnen wär´,

Und das wälsche Blut würd´ überschäumen,

Wenn der deutsche Anteil nicht zu schwer!

Nun, jetzt sind sie wohl allmählich ganz ineinander verschmolzen, und wenn auch, Gott Dank, des Alters Beschwerden noch wenig oder gar nicht sich fühlbar machen, alles mahnt doch, daß es bald die Zeit ist, wo der Tag sich neigt. Will’s Gott, mag er uns noch einige Jahre frohen Schaffens gönnen. Meine beste Eigenschaft ist ja vielleicht eine gewisse Zähigkeit und Ausdauer, die nicht leicht von der Arbeit läßt. Eine gute Fee gab mir dabei die gute Gabe mit ins Leben, daß mich leicht etwas freut: Arbeit wie Ruhe, Menschenverkehr und frohe Geselligkeit, und eben so sehr Einsamkeit und emsiges Schaffen. Es bezieht sich das nicht allein auf geistige Arbeit, auch andere Beschäftigung, welcher Art sie sei, ist, mit wenig Ausnahme, mir recht.

Am meisten hasse ich langweiliges Nichtstun – und eintönige Gleichförmigkeit.

Im großen ganzen aber habe ich, wie einst mein Großvater, dem Herrn viel zu danken. Das Leben hat mir mehr gegeben als ich erwarten konnte, als ich noch das kleine, blasse, ungeschickte Mädchen war.

Mancher Sturm ist durch das Leben gezogen, auch dann, wenn man ihn nicht mehr erwartete – aber wessen Leben ist frei von trüben Erfahrungen?

Wie die letzten Seiten der Lebenserinnerungen beschrieben sein werden, weiß ja der Herr allein. Aber wie es auch kommen möge, vieles war doch gut und schön: „Denken und Empfinden“, sagt Nikolaus von Cusa, ist das schönste im Leben, und ich setze hinzu: „Schaffen und Genießenkönnen macht das Leben erst reich und schön!“

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  1. Schlußwort.

Aus den Bemerkungen der Verfasserin auf Seite VIII (in den Weldaer Heimatblättern nicht abgedruckt) der Vorbemerkung geht hervor, daß sie diese Lebensschilderung im Jahre 1900 vollendete.

Später erschien dann von ihr noch als Buch die zuerst in der Herbert-Hamannschen Zeitschrift Haus und Welt gedruckte Novelle: Chic! (1901, Köln, Bachem).

Zwei weitere Novellen: Der Lenz und ich und Du (Feuilleton der Kölnischen Volkszeitung 1901), Herzensinstinkt (desgleichen 1903) und zwei Jugenderzählungen: Wem gebührt die Palme? und Talisman sind für Buchausgaben in Vorbereitung und werden in Kürze bei J.P. Bachem in Köln erscheinen.

Die letzten Jahres ihres Lebens hat sie dann noch an einem großen Roman gearbeitet, den sie kurz vor ihrem Tode (4.Jan.1905) vollendete. Der Roman befindet sich in Vorbereitung für das Erscheinen im Feuilleton der Kölnischen Volkszeitung und für die Buchausgabe. Er trägt den Titel: Die Enterbten.

Die Verehrer der verstorbenen Dichterin wird es interessieren, ihre Handschrift kennen zu lernen. Sie hat in ihrem Lebensbild (vergl. Seite 39 (WHBl.Nr.10 S.6) u. 103 (S.2 dieser Ausgabe) selbst scherzhaft ihre unleserlichen „Migänchen“ erwähnt. Eine Seite der Handschrift des vorliegenden Lebensbildes in naturgetreuer Wiedergabe mag dieselbe veranschaulichen.

Bis zu welchem Grade die Undeutlichkeit der Handschrift in der letzten Lebenszeit fortschritt, zeigt die ebenfalls nachgebildete Schlußseite des vorerwähnten hinterlassenen Romans.

Anhang I.

Der auf Seite 114 (WHBl. Nr.11 S. 4) erwähnte scherzhafte Meinungsaustausch der Dichterin mit Frhrn. v. Schorlemer-Alst über den Vorzug zwischen Leberwurst und Bratwurst hatte zur Folge, daß sie ihm ein Erzeugnis der heimischen Hausschlachtkunst nach Berlin sandte, begleitet von nachstehendem Gedicht.

 

Unparlamentarische Antwort.

in einem neuen Kulturstreite

mit dem Reichstags-Abgeordneten

Freiherrn Burghard von Schorlemer.

 

D

aß dein der Rede mächt´ge Gabe ist,

Die ruhmvoll widern Feind sich stets gewandt                                                                                            Das ist ja unser Stolz! Doch bang bewußt

Ward´s mir, als zwischen uns der Streit entbrannt.

Kampfkundig wußtest du den Gegner da

Auch stets mit neuer Wendung zu bedräuen,

Und forderst listig gar zum Lied heraus.

Entsetzt würd´ Pegasus, so denkst du, scheu´n,

Daß solch´ unziemlich und prosaisch Ding

Zum göttlichen Parnaß er tragen sollt´:

Ein schnödem Küchendunst entstammend Wort,

Dem nie Apollo und die Musen hold.

 

Doch irrst du, Freund; denn am olymp´schen Berg

Jedwede Tugend wird mit Preis gelohnt,

Auch wenn sie einfach nur in dem Gewand

Von unscheinbarer Leberwurst gewohnt.

Und keiner Leier dünkt es je zu schlecht,

Kein Gott es seiner als unwürdig schilt,

Wenn es ein um die Menschheit echt Verdienst

Aus schnödem Streite zu erretten gilt.

 

Darum auch nehme ich den Wettkampf an.

Lobpreisend, schwungvoll sich das Lied ergießt

Dem heimischen Gericht, das tugendreich

Die Krone unter seines Gleichen ist.

Denn was der feinste Kennergaumen ehrt,

Die Leber, zungenschmeichelnd, weich und zart,

Sie mischt sich da mit vielem Wohlbedacht

Zu Fleisch und Würze schlichter guter Art.

Mächtig und stark, ernährend und doch leicht,

Sieht es dich schon so glatt und rundlich an,

Einfach westfäl´scher Art, die aber stets

Jedwede fein´re Kunst veredeln kann.

Denn wenn mit Trüffeln wohl gepaart sie wird,

Zählt sie auch in der Leckerbissen Reih´n,

Und zieht getrost gleich Straßburgs Leberkost

Auf dem Menü zur feinsten Tafel ein.

Doch das Geringste das! – Erhab´ner noch

Steht sie der Welt ja im sozialen Wert:

Ein Leckerbissen ist´s, der keine Neider schafft;

Denn auch dem schlichten Mann ist sie gewährt.

Du findest sie auch in der kleinsten Hütte,

Wo etwas Fleiß und Sorglichkeit nur weilt,

Recht ein Gericht des Stands der Ackerscholle,

Vom Herren- wie vom Bauernhaus gleich gern                                                                          geteilt.

Ja, Bauernkost! Und sieh´, da lächl´ich leise,

Daß grad der Bauernfreund sie so verkennt,

Daß sein geübter Blick für Landmanns Art und                                                                        Weise

Die Bratwurst höher mir gar preisend nennt:

Die Bratwurst, die vielfordernd ja da steht

Und Zutat heischt, in Butter brodeln will,

Daß sie ein sorgsam Hausweib gern verschmäht,

Nur zu ihr greift mit einem Seufzer still

In jetz´ger Zeit; indeß die Leberwurst

In rührend tiefbescheid´nem Sinn und Art

Ein Stücklein trocken Brot ja kaum nur will,

Und, eig´nen Reichtums voll, die Butter spart.

 

O schweig´, mein Lied! schon dieses einz´ge Wort

Genügt zum Sieg! Doch vor die Seele mir

Tritt jetzt ein neues Bild. Sag´, wer begleitet

Dich denn ins ferne grüne Jagdrevier?

Bist ein Westfale du, und kennst nicht die Stunde?

Der Magen knurrt, nur kurze Zeit zur Rast –

Mit Waidmannshunger langest du zur Tasche,

Bescheiden schon auf karges Mahl gefaßt;

Wägst prüfend dann die wohlversorgte Hülle.

Nur trocken Brot? du fragend, zweifelnd knurrst;

Doch nein! – dein Auge strahlt, denn dir entgegen

Lacht da ein gut Stück heim´scher Leberwurst!

 

O, daß ich einem Kind vom Paderstrande

Dies erst noch sagen muß! O weh! mir bangt:

Es hat die städt´sche Luft des Reichstags-                                                                  Restaurant

Und all der Aktenstaub dich angekrankt.

In deinem Aug´ ist´s wohl noch zu seh´n,

In deinem Wort klingt´s wahrlich auch nicht an;

Doch hüt´ dich Freund! es ist subtiles Gift,

Und jede Krankheit fängt unscheinbar an.

Schon daß du so verkennst ein heimisches Gericht,

Das heischt Arznei. O schnell zur zehnten Stund´

Da lies bei gutem Frühstück dies Gedicht

Und iß dich an ´ner Leberwurst gesund.

Um zehn Uhr Leberwurst, ist echte Padersitte,

Die dring´dir wieder recht in Fleisch und Blut.

Du wohnst da in der Münsteraner Mitte;

Dem echten Paderborner ist´s nicht gut.

Doch beiden werd´gerecht. Nimm Münsterländer,

Trink ihn dazu – so fettes Lied macht Durst.

Denn wenn recht scharf man trinkt, dann denkt                                                        man milde,

Und was du von mir denkst, das ist mir gar nicht                                                                      Wurst!

Ferdinande Brackel.

Ã

Freiherr v. Schorlemer-Alst sandte ihr darauf folgende

Parlamentarische Antwort

der genialen westfälischen Dichterin

Freiin Ferdinande von Brackel

dediziert vom

Abgeordneten für Kalau.

 

Motto: „Hie Mett-, hie Leberwurst!“

A

us dem Kulturkampf heim bei den Penaten

Empfing eine Mettwurst, wohlgebraten.

Doch war zur Hälfte sie nicht aufgezoren,

Als deine Muse neuen Krieg heraufbeschworen.

„Hie Welf, hie Waibling“ schallt es in Berlin,

„Hie Mett-, hie Leberwurst“ rufst du mir hin.

Hab´ innigen Dank für deine holde Gabe,

An deren Kunst wie Frohsinn ich mich labe,

Und sieh bewundernd mich zu deinen Füßen,

Die seltne Gabe staunend zu begrüßen,

Bei solchem Geistesflug, ich kanns nicht fassen,

Auf Mett- und Leberwurst sich niederlassen.

Nun schreib´ ich Leberwurst mir ins Panier,

Sie ist für mich fortan der Würste Zier.

Du aber neig´ in Huld dich zu mir nieder,

Bekehrtes Pader Kind kehr ich zur Heimat wieder.

——————-

So viel festgestellt werden konnte, sind dies die einzigen Verse Schorlemers.

 

 

 

Anhang II.

Vergleiche Seite 114 (WHBl Nr.11 S.4)

 

Dem Freiherrn

von Schorlemer-Alst,

dem Begründer des Bauern-Vereins,

 

zum Silber-Jubiläum desselben am 23.Juli 1888.

 

L

aß zu diesem Ehrentage

Dir auch meinen Glückwunsch sagen!

Tausende von wackern Herzen

Heute dir entgegenschlagen.

 

Tausende von wackern Männern

Heute dir zu danken kommen,

Weil dein klarer Blick erkannte,

Was zu ihrem Nutz und Frommen.

 

Alle heute deinen Namen

Huldigend und preisend nennen;

Denn sie wissen, was sie danken

Deinem richtigen Erkennen.

 

Männer sind es aus dem Volke,

Schlichte Männer von der Scholle,

Die die rote Erde pflügen,

Die da ziehen Korn und Wolle.

 

Als vor fünfundzwanzig Jahren

Du hast diesen Bund gegründet,

Hat fürwahr in wenig Herzen

Erst der Funke nur gezündet.

 

Denn des Bauern Tun und Treiben,

Schlicht und recht im engen Kreise,

Hat so wenig ja zu schaffen

Mit der Welt geschäft´gen Weise.

 

Doch dein Herz hat warm geschlagen

Für des Landmanns Stand und Würde,

Und du sahest auf ihm lasten

Mancher Sorge schwere Bürde.

 

Und du sahst noch schlimm´re Zeichen!

Sahst am Geist der Zeit in kranken,

Feil schon ward das alte Erbe,

Und die alten Sitten sanken.

 

Da wallt heiß es dir zum Herzen:

„Weh dem Land, wenn´s siecht im Marke!

„Bauern, stehet fest zusammen!

„Selbst hilft allzeit sich der Starke.

 

„Und noch wohnt die Kraft euch inne,

„Daß ihr könnt nach Hilfe trachten;

„Daß die Ehre ihm nicht fehle,

„Muß der Bauer selbst sich achten!

 

„Hand in Hand, steht fest zusammen,

„Daß der Wuchrer Schar entweiche!

„Auf daß nicht ihr zehrend Übel

„Sich in eure Häuser schleiche.

 

„Scheu´t der Prunksucht Armutsfahne!

„Das Panier sei schlichte Sitte,

„An das Erb´ der Väter bindet

„Sie das Herz mit festem Kitte.

 

„Hoch des Glaubens teures Zeichen!

„Bleibet fest darum gescharet.

„Gottesfurcht und gläubig Hoffen

„Hab´ die Seelen euch bewahret.

 

„Und für alles Hohe, Edle

„Soll´n euch warm die Herzen schlagen;

„Denn ihr sollt nicht wie der Sklave

„Nur der Arbeit Bürde tragen.

 

„Warm im Herzen soll auch walten

„Lieb´ zum Land, wo ihr geboren.

„Hoch des Vaterlandes Fahne,

„Der die Treue ihr geschworen!

 

„Ehrt den Herrscher, Gott gegeben,

„Betet, daß der Herr ihn schütze;

„Fern dem Throne, bleibt der Bauer

„Doch des Thrones beste Stütze.

 

„Lasset uns in diesem Sinne

„Einen Bund nun fest begründen,

„Daß ein jeder Schutz und Hilfe

„Rat und Stütze dort kann finden.“

 

So hast damals du gesprochen,

Und sie haben dich verstanden.

Goldne Worte sind´s gewesen,

Die den Weg zum Herzen fanden.

 

Und die Worte wurden Taten,

Die so glänzend sich bewähret,

Daß dein Werk in weiten Landen

Ruhm und Beifall hoch jetzt ehret.

 

Was geringe nur begonnen,

Sehn wir voll entfaltet stehen,

Und den echten Mann des Volkes

Haben wir in dir gesehen.

 

Der nicht bloß mit leeren Worten,

Eitlen Träumen nur berückte,

Nein, der richtig es erfaßte,

Wo der Schuh den Bauer drückte.

 

So nach wahrer Ritter Weise

Wurdest du des Volkes Stütze.

Ritterpflicht heischt: Unrecht wehren,

Heischt, daß er den Schwachen schütze.

 

Und fürwahr, du bist gefunden,

Wo Gefahr und Unrecht drohten,

Ritterlich hast du dem Gegner

Kampf und Fehde da entboten.

 

Als den Tapfersten der Streiter

Lernten wir im Kampf dich kennen,

Als den besten seiner Söhne

Wird Westfalen stets dich nennen.

 

Doch zu diesen Lorbeerkränzen

Laß den Eichenkranz mich legen.

Eichenlaub wir gerne spenden

Für des stillern Wirkens Segen.

 

Wenn an Hunderten von Stätten

Frieden, Glück und Wohlstand walten,

Wenn der Väter schlichte Sitten,

Glaub´und Treue bleibt erhalten:

 

Dann wird man noch dankend nennen

Diesen Bund in späten Tagen;

Und der Vater wird dem Sohne

Deine Lehren übertragen.

 

All die stillen Segenswünsche

Werden dir zum schönsten Lohne.

Seinem Land genützt zu haben,

Ist des Mannes Ehrenkrone.

 

Und mich dünkt, zwei helle Strahlen

Seh ich auf dein Wappen gleiten,

Weil du zwiefach es verherrlicht,

Als ein Ritter uns´rer Zeiten.

 

Plön, 21. Juli 1888

Ferdinande Freiin von Brackel.

 

 

Das Heimatblatt von Welda als PDF Datei herunterladen:

Weldaer Heimatblatt Nr. 11 – August 1995

 

[1] siehe Strümper, Walter: Von Postämtern, Postkutschen, Landboten und anderen Begebenheiten, S. 180, Schriftenreihe des Museumsverein Warburg e.V. Band 7, 1994 „  … und die Gemeindeväter von Welda erklärten: „Die Amtspost könne man mit der Witwe Tegethoff befördern, weil sie ohnehin wöchentlich mindestens zweimal nach Warburg ginge.“

[2]  Seither die 22. Auflage, 1904.

[3] Vgl. S. 66 bis 72 der Buchausgabe

[4] Der Brief hatte folgenden Wortlaut:

Der geistreichen Schriftstellerin, ihrer liebenswürdigen Landsmännin, die „nicht wie alle andern“ ist, bringen die Unterzeichneten, welche inmitten der parlamentrischen Kämpfe Ihr „Nicht wie alle Andern“ gelesen, den Ausdruck ihrer Anerkennung und herzlichen Verehrung dar.

Berlin, den 3.Februar 1876

Frhr.v.Schorlemer-Alst, Dr. Windhorst,

v.Forcade de Biaix, Frhr.v.Wendt, Graf Galen, Frhr.v.Heeremann, Frhr.v.Landsberg.

Das waren die sämtlichen westfälischen Zentrums-Abgeordneten, denen sich als Stamm-und Gesinnungsverwandter der Niedersachse Windthorst angeschlossen hatte.

[5] Siehe Anhang 1.

[6] Als Dr.Freiherr von Schorlemer-Alst die Feier des Silber-Jubiläums des von ihm gegründeten Westfälischen Bauern-Vereins mit demselben am 23.Juli 1888 in Münster beging, widmete ihm Ferdinande von Brackel einen poetischen Glückwunsch. Derselbe war datiert, „Plön, 21.Juli 1888“.

Der Wortlaut ist im Anhang 2 mitgeteilt.

Später, im Jahre 1895, widmete sie ihrem Vetter und Landsmanne dann noch ihren Roman Im Streit der Zeit mit folgenden Worten auf dem Titelblatt:

Dem Andenken meines edlen Verwandten und Freundes, des frommen Kämpfers für Wahrheit und Recht, Freiherrn Burchard von Schorlemer-Alst, gewidmet von der Verfasserin.

[7] + Dichter und Literaturkritiker. Lebte als Pfarrer in Dombach bei Camberg, Nassau.

[8] Karl Muth (Veremundus), jetzt Herausgeber der Zeitschrift Hochland in München-Kempten.

[9] Es trägt die Widmung:

Meinen liebenswürdigen Freunden im Münsterlande, dem Baron und der Baronin von Landsberg-Velen, zur freundlichen Erinnerung an die bei ihnen verlebten schönen Tage, in denen so manche Zeile von Daniella entstand, in herzlicher Freundschaft gewidmet von der Verfasserin.

Welda, den 15. Dezember 1878.

[10] Vergl. Nachwort.