Weldaer Heimatblaetter


Herausgegeben vom Ortsheimatpfleger Bruno Hake

Erschienen in zwangloser Folge

Nr. 6                                                  Juni 1990                                            6. Jahrgang


 DER WORMELER KLOSTERKRIEG

UND SEINE. FOLGEN FÜR DlE NACHBARGEMEINDEN

1797

Ortsvorsteher Josef Floren und Ferdinand Floren aus Wormeln

 Johannes Wüllrich aus Welda

 erschossen!

 

Diese Auseinandersetzung, die zwischen Einwohnern von Wormeln, Welda, Calenberg und Germete einerseits und dem Zisterzienserinnenkloster Wormeln andererseits ausgetragen wurde, soll hier Erwähnung finden aus folgenden Gründen. Einmal zeigt sie, wie sich die Sozialstruktur in unseren Dörfern darstellte, zum anderen ist der Streit ein deutliches Zeichen dafür, daß man nicht mehr alle Willkür des Lehnshern hinzunehmen bereit ist. Auch wenn man die Pflicht akzeptiert, den  Zehnten an seinen Herrn zu geben, will man nicht hinnnehmen, daß der Herr  eigenmächtig Steuererhöhungen verordnen kann. (Bahnt sich hier so etwas wie eine „deutsche Revolution“, vergleichbar der französischen, an ?)

Im Jahre 1762, also noch vor Ende des 7jährigen Krieges, kam der Zisterziensermönch Rörich aus Hardehausen nach Wormeln. Er wurde dort Propst des Nonnenklosters. Bei seiner Ankunft fand er „Armut, Elend, Schulden und leere Kisten und Kasten“ wie er selbst sagte. Er fühlte sich als Verwalter verpflichtet, diese Notlage zu ändern. Er begann rücksichtslos und unbarmherzig die Zahlungsrückstännde der Bauen an das Kloster einzutreiben und bediente sich dabei auch gerichtlicher Hilfe. Die Zahl der Prozesse die er gegen Einwolnner und Abhängige des Klosters, aber auch gegen seine „“Dienstaufsicht““ führte, ließ ihn zu einem gehaßten Mann in den umliegenden Ortschaften werden.

Als Grundlage diente ihm eine Zehntordnung, die der Fürstbischof Clemens August am 3.3.1741 erlassen hatte. – Nirgendwo hat man sich danach gerichtet, aber Rörich hatte eine Handhabe, die letztlich auch dazu führte, daß alle Gerichte den Wormeler Bauern ihr vermeintliches Recht nicht gewähren konnten.

Diese Zehntordnung – verkürzt wiedergegeben – gibt ein Zeugnis, wie schon damals die Finanzbehörden in den letzen Winkel zu spähen versuchten .

§1 Docken werden mit zum Zehnten gezählt (das sind die Garben, die zum Wetterschutz über den Kornhaufen liegen) .

§ 2 Die Erheber des Zehnten können beliebig anfangen zu zählen (sonst hätten ja die Bauern die zehnte Garbe dürftig machen können).

§ 3 Es soll fortlaufend von einem Feld zum anderen gezählt werden

(nicht bei jedem neuen Feld mit 1 beginnend)

§ 4 Auch die zuletzt übrigbleibenden Garben sind zehntpflichtig.

§ 5 Das gilt auch für Felder, auf denen keine zehn Garben wachsen.

§ 6 Der Erheber ist verpflichtet streng vorzugehen.

§ 7 Zehntpflichtige die sich weigern, sollen für jedes Gebund mit einem Thaler bestraft werden.

§ 8 24 Stunden vor der Abfuhr vom Lande muß der Zehntherr informiert werden. Hat der in dieser Zeit seinen Zehnten nicht festgelegt, darf eingescheuert werden .

§ 9 Zehntpflichtige Länder dürfen nicht verkleinert werden (z.B. ein Stück Wiese daraus machen)

§ 10 Alle bisherigen Zehntrechte – auch Abmachungen und Gewohnheitsrechte- werden aufgehoben (Rechte die die Zehntpflichtigen zuvor günstiger stellten).

§ 11 In Zukunft gilt keine Verjährung mehr.

§ 12 Alle laufenden Prozesse fallen darunter (Das hatte es in der Rechtsprechung noch nicht gegeben).

§ 13 Verminderung der schon ausgestzten Garben durch Felddiebstahl soll bestraft werden. In größerem Umfang das erste Mal mit 1/4 Jahr Zuchthaus, das zweite Ma1 mit 1/2 ,Jahr Zuchthaus, das dritte Mal mit dem Criminalpfahl. Außerdem mit Landesverweisung oder lebenslänglichem Zuchthaus.

§ 14 Damit niemand Unwissenheit vorgibt, erhält jede Gemeinde zwei Exemplare der Verordnung. Ein Exemplar erhält der Pfarrer, und der verkündet diese Verordnung jedesJahr zu St. Jacobi.

Da sich also die Kassen nach Rörigs Meinung nicht schnell genug füllten, griff er für seine zehntpflichtigen Hintersassen (Zinspflichtige Kleinbauern) auf diese Zehntordnung des Fürstbischof Clemens August zurück: „sie sollten nämlich künftighin auch von den Docken Zehnten geben und sich ferner bei der Berechnung des Zehnten von einem Stück Land auf das andere aufzählen lassen.“ (Er hat gemeint , wenn z.B. auf einem Stück Land 8 Garben standen, wolle er auf dem nächsten Stück Land eines Zehntpflichtigen mit 9 und 10 weiterzählen. Zuvor fing man auf dem neuen Stück Land wieder mit 1 zu zählen an. Die Docken sollten nun auch zum Zehnten mitgerechnet werden). So lange das Kloster bestand, hatte es so etwas noch nicht gegeben. Das war auch im ganzen Lande noch nicht vorgekommen. Die Zehntordnung von Clemens August war allgemein ignoriert worden.

Da nimmt es nicht Wunder, daß eine Empörung ohnegleichen bei den Zehntpflichtigen ausbrach. Gerade war der Knieg vorbei, allen waren riesige Schuldenlasten aufgebürdet, die durch Einquartierung, Räubereien und Plünderungen verursacht waren, da schlägt so eine satte

Obrigkeit nochmals mit dem Steuerknüppel zu.

Die Dorfbewohner schickten ihren Vorsteher zum Propst und ließen ihm sagen: „Sie wollen dem Kloster auch fernerhin gerne geben, was sie und ihre Voreltern bisher gezahlt hätten, obschon es ihnen nach den langwierigen Leiden des 7jährigen Krieges sauer genug würde; dafür möge er aber auch von den Neuerungen abstehen (absehen) und die Gemeinde mit kostspieligen Prozessen verschonen.“

Das hat auf den groben Rörich keinen Eindruck gemacht. Er prozessierte weiter, gewann 1767 und ließ die Gemeinde in die Berufung gehen. 1769 unterlag sie in der zweiten Instanz und ging dann in die Berufung vor dem Reichskammergericht, welches in Wetzlar seinen Sitz hatte. Das zog sich so einige Jahre hin. Zwischenzeitlich betätigte er sich weiter als Prozeßhansel gegen seinen eigenen Fürstbischof, ja er versuchte sogar gegen diesen eine Exkommunikationsbulle durch den Papst zu erwirken. Da hat ihn aber das Kloster Hardehausen in seine Klosterzelle zurückgeholt. Sein Nachfolger, Hermann Braun, verfolgte die Interessen des Klosters weiterhin auf dem Prozessweg.

Es kamen dann einige Nachfolger, die den Prozeß nur widerwillig fortsetzten, zumal sich der Konvent auch wiederholt dagegen aussprach. Da wurde im Jahre 1783 Humbeline Rosenmeyer aus Brakel zur Äbtissin gewählt. Sie stand in ihrem Charakter dem Rörich nicht nach. Gegen den Willen des Konvents betrieb sie eifrig die Fortführung des Prozesses vor dem Reichskammergericht und hatte schließlich 1796 Erfolg.

In diesem Jahr versuchten die Zehntpflichtigen noch einen Kompromiß zu schließen, aber Humbeline bestand auf Erfüllung. Und von ihr hätte der Rörig noch lernen können. Sie bat den Fürstbischof in Paderborn, zur Erntezeit doch ein Militärkommando nach Wormeln zu legen, um so den notwendigen Druck auf die Gemeinde ausüben zu können. Aber seine zwei Kompanien – mehr hatten ihm die Landstände nicht bewilligt – waren in solchem Zustand, daß man sie nicht einmal auf dem Lande herzeigen konnte .

So schickte Paderborn zunächst halbherzig im Jahr 1797 drei Soldaten, dann zehn, und als auch das nicht half, ein Kommando von 30 Mann unter Führung des Leutnants Mendel. Humbeline hat auch den Landrat von Hiddessen in Warburg bemüht, von dem die Einheimischen später noch erzählten, daß er in den Sätteln von vier Herren gesessen hätte, aber reiten hätte er nie gekonnt – (Paderborn bis 1802, Preußen bis l806, Westfalen unter Franzosenherrschaft bis 1813 und dann wieder Preußen).    Muß der eine Lobby gehabt haben!

Humbeline erreichte, daß er den Bauern verkünden ließ, sie hätten das Kommando aufzunehmen und zu bewirten. Die Widerspenstigen sollten zur Bestrafung abgeführt werden. Mit solchem Befehl sollten die Bauern wohl nur einschüchtert werden. Denn von Paderborn waren den Soldaten alle Tätlichkeiten untersagt gewesen. Aber der Herr von Hiddessen fühlte sich wohl der Äbtissin verpflichtet und hatte den  Befehl zur Bestrafung gegeben. (Warum nur spürte er solche Verpflichtung? Die Geschichte mit der Männerhose kam doch erst später auf).

Die Bauern verlangten jetzt von allen Nonnen eine Erklärung, ob sie die Vollstreckung des Urteils wirklich verlangten. Auch das Kloster machte einen Vergleichsvorschlag. Die Bauern bekamen eine Stunde Bedenkzeit, den Vergleich anzunehmen. Die Stunde verlief, ohne daß sich etwas tat.

Inzwischen hatte sich in Wormeln viel Volk aus den umliegenden Ortschaften angesammelt. Die Nachbardörfer waren ja auch betroffen, wenn in ihren Gemarkungen Land lag, das dem Kloster zehntpflichtig war. Der 0rtsvorsteher befahl denen, die von auswärts gekommen waren, ihre Stöcke wegzulegen, deren sie sich zum Gehen bedient hatten, um auch jeden Anschein zu vermeiden, daß sie Gewalt mit Gewalt vergelten wollten.

Nun zogen die Soldaten vor das Haus des Bürgermeisters. 3 Mann wollten sie einzuquartieren. Aber weder Bürgermeister noch die Wormeler Bauern mochten einen Soldaten aufnehmen.Die anderen auch nicht. Da nahmen ihn die Soldaten fest und wollten ihn abführen, was aber nicht gelang, da die Wormeler ihn festhielten. Die Soldaten waren aufgebracht und wurden handgreiflich. Es kam zu einem Handgemenge und die Soldaten schossen in die Menge.

Ortsvorsteher Josef Floren, Ferdinand Floren aus Wormeln und Johannes Wüllrich aus Welda (+ 18.9.1797 in Wormeln. s. Hake, Ortssippenbuch Welda, Band I <.2286.>) wurden erschossen, weitere 20 Bürger wurden teils schwer, teils leicht verletzt. Einige Dorfbewohner liefen in die benachbarten Orte Warburg und Calenberg, um Hi1fe zu holen. Die Soldaten hatte man in das Kloster laufen lassen. (Ob die da auch geplündert haben?)

Als man sch1ießlich die Feuerglocke läutete um im Umland die Not offensichtlich zu machen, brachte das den Bedrängten nicht mehr viel. Die Bewohner der Nachbarorte waren ohnehin schon nach Wormeln geeilt.Viele Leute aus Calenberg, Welda, Germete und Wormeln erregten sich zu Recht mit den Ortsansässigen. Man schimpfte und fluchte über das Kloster, und der Ruf nach Rache wurde laut. Man solle das Kloster doch stürmen und sich zusammenrotten.

Und so geschah es auch. Selbst die Frauen beteiligten sich. Man rückte vor das Kloster, eine Frau aus Germete warf „den ersten Stein „, und dann ging es erst richtig los. Die Türen wurden eingeschlagen, dann die Möbel zertrümmert. Man warf alles was beweglich war durch die Fenster hinaus. Dabei fand man auch den Eingang in die Ke1ler des Gebäudes, wo die Wein- und Branntweinfässer lagerten. Die überstanden den Sturm nicht.

Nachdem man sich an ihrem Inhalt gütlich getan hatte, gingen sie zu Bruch. (9 Ohm Wein und 8 1/2 Ohm Branntwein!    1 Ohm = 137,4 l.)

Da waren 1 500 Reichsthaler in die Twiste geflossen – abzüglich dessen, was man verkostet hatte. Also hatte sich das Kloster – auch ohne Erhöhung des Zehnten – doch recht gut von den Wirren des 7jährigen Krieges erholt gehabt, sollte man meinen. Den Branntwein hatte man im Kloster selbst gebrannt. Wir wissen das, weil der bischöfliche Rentmeister von Dringenberg schon Jahre zuvor das Kloster wegen unbefugten Schnapsbrennens in eine harte Geldstrafe genommen hatte. Damals wurde das Brennen vom dicken Rörig gegenüber dem Rentmeister noch mit den Worten begründet: „Nonnen müssen Schnaps haben!“ Das hat er auch dem Bischof gesagt. aber der erließ die Strafe auch nicht. Uns heutige Zeitgenossen aber ließ Rörig in Unkenntnis, warum das so sein mußte, daß Nonnen Schnaps haben müssen. Er hat das “Warum“ leider nie begründet.

Es wird auch heute noch erzählt, daß man die Äbtissin Humbeline aus Brakel gesucht hätte. Der Küster soll erfolgreich gewesen sein und sie in einen offenen Kamin einsteigen gesehen haben. Böse Zungen behaupten, er hätte ein Bund Stroh nachgeschoben und Feuer daran gelegt. Bei dieser Gelegenheit habe die Äbtissin das Kloster zum ersten Male von oben gesehen. Das ist aber nicht glaubhaft , weil es ja Nacht war.

Es stimmt aber, daß die Äbtissin aus Brakel eine derartige Nervenzerrung bekam, daß sie aus dem Kloster flüchten und auf ihr Amt als Vorsteherin des Klosters verzichten mußte. So ähnlich steht das in einer Urkunde des Klosters Marienmünster. Aber es steht auch in dieser Urkunde, daß sie sich eine standesgemäße Pension vorbehielt. Übrigens erhielt sie die auch; 150 Reichsthaler. (Wer wissen will, wie Humbeline aussah, der besuche einmal den Stern in Warburg. Hier im Museum hat man ein Bildnis von ihr aufgehangen; in Lebensgröße).

(Aber eine Geschichte wird noch heute in Wormeln erzählt, an der sich auch ein Verseschmied, Hexameter verwendend <Versmaß>, versucht hat. Es ist die Geschichte von der im Äbtissinnenbett vergessenen Männerhose. Und der Vorname des Eigentümers soll Victor gewesen sein. Aber die ist zu lang und soll deshalb nicht aufgeschrieben werden).

Die Aufständischen hatten jetzt nichts zu lachen. Der Fürstbischof wandte sich an den in Kassel residierenden Landgrafen von Hessen und bat ihn um die Entsendung einer Streitmacht gegen die aufrührerischen Bauern. (Da staunt man, wie schnell der katholische Fürst den protestantischen Fürsten fand und wie schnel1 der seinem papistischen Amtsbruder zur Hilfe eilte).

Er schickte 700 Mann Fußtruppen und Berittene mit Geschützen über die alte Heerstraße. Das war nicht überzogen, wenn man bedenkt, daß in Frankreich 1789 aus so einer Revolte eine Revolution entstanden war, von der sogar Goethe 1792 nach der Kanonade von Valmy gesagt hat, daß von diesem Ereignis eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehe, und die Zeitgenossen könnten sagen, sie seien mit dabei gewesen. Und das Ereignis von Valmy – ein Volksheer hatte sich erfolgreich gegen Fürstenhäuser zur Wehr gesetzt – lag gerade 5 Jahre zurück. Auch die Amerikanische Revolution hatte die Herrschaft der fürstlichen Machthaber erfolgreich hinweggefegt.

Der Landgraf war auch deswegen mit der Truppenentsendung so entgegenkommend, weil nun die Kosten für die Streitmacht vom Fürstentum Paderborn aufgebracht werden mußten. Daher hatte er auch gleich zwei Batallione statt des einen, um das der Bischof gebeten hatte, geschickt. Die Kosten für das ganze Militär trugen eben die Wormeler und ihre befreundeten Nachbarorte.

Man muß die Privilegierten – Adel und Klerus in Deutschland – verstehen. Sie wollten ihre Vorrechte nicht kampflos aufgeben, solange noch Soldaten ihren Befehlen gehorchten. Außerdem, das Feuer von Wormeln hätte sich ja zu einem F1ächenbrand ausbreiten können. Aber immerhin, 700 Soldaten mit Gewehren und Kanonen gegen die 250 Einwohner männlichen Geschlechts von Wormeln . . .?

Die 700 Soldaten wurden in Wormeln und Welda einquartiert , und sie blieben drei Wochen lang. Wie es über Jahrhunderte Brauch war, führten sie auf Kosten der Gemeinden ein fröhliches Leben. Die Gemeinden Wormeln und Welda mußten sogleich 2 100 Reichstha1er in die Kriegskasse zahlen. Das konnten die Bauern nicht aufbringen. Deshalb nahmen die Gemeinden Geld auf. Die Schulden wurden anteilig auf alle einzelnen Besitzungen eingetragen. Auch Germete und Calenberg hatten zu zahlen. Unabhängig davon hatte die hohe Paderborner Gerichtsbarkeit die am Aufstand beteiligten festgestellt und bestraft. Und der Bischof bat und flehte den Landgrafen an, doch endlich die Truppen wieder abzuziehen. Die gestraften Gemeinden waren jetzt finanziell so ruiniert, daß für Paderborn kaum noch Steuern abgezweigt werden konnten. Doch der Landgraf meinte, die Bauern seien noch immer widerborstig. Und solange er diese Meinung hatte, war sein Militäretat geschont.

Der Leutnant Mendel, der vom Herrn von Hiddessn den Auftrag bekommen hatte Macht zu demonstrieren, mußte sich 1800 vor dem Kriegsgericht in Hannover verantworten. Von dem Vorwurf des Ubergriffs wurde er dank des Auftrages vom Hiddessen freigesprochen. Aber seine Soldaten hatten sich noch einiges gegen den Hofrat von Lange herausgenommen, als sie von Warburg nach Paderborn abzogen. Dafür erhielt der Leutnant, der seine Soldaten nicht in Zucht und Ordnung gehalten, ein Jahr Festungshaft. Und dann kam das Ende des Fürstbischöflichen Militärs. (An großen Taten ist im letzten Jahrhundert nichts bekannt geworden, außer daß ein Kommandeur während des 7jährigen Krieges vom Kanonendonner – der noch sehr entfernt war – schwer erkrankt ist. Und seine Truppen sind in Gefangenschaft geraten, ohne daß sie einen Schuß abgegeben hatten. Das alles ist nicht gelogen. Da meint man, die Soldaten seien nur mutig gewesen, wenn der Gegner keine Waffen hatte – wie in Wormeln. Aber die Bauern aus Wormeln haben Mistgabeln und Dreschflegel verwendet – haben die Soldaten später ausgesagt).

Aus einer alten Schuldurkunde der Stadt Calenberg kann man entnehmen.

„Sonntag, den 5. November 1797, erschienen vor dem hiesigem Amtsprotocolle (das war der ewige Reitschüler Hiddessen) der Weinherr Oebicke aus Warburg und namens der Stadt Calenberg der Bürgermeister Anton Berendes, Consul Johannes Ewen und Camerarius (Kämmerer) Johannes Jürgen Hasebase. Letztere zeigten sodann an, daß der Weinherr Oebicke auf ihr geziemendes Angebot der Stadt Calenberg ein Kapital von 125 Thalern (100 Thaler in alten Duccatons zu 1 Thaler, 20 Silbergroschen und 25 Thaler in Holländischen Gulden, Stück zu 20 Silbergroschen gerechnet) vorzustrecken gesinnt sei“.

Sie mußten das geliehene Geld für den Ankauf von Fourage verwenden, die sie an die Hessischen Besatzungstruppen in Wormeln liefern mußten. Als Sicherheit boten sie dem Weinherrn Oebicke den gemeindeeigenen Rosskamp (Rotzer Feldmark) sowie 2 Morgen Feldflur, die Dicken Land genannt wurde, an. Dieses Kapital sollte jährlich mit 5 Thalern verzinst werden.

Wie war es dazu gekommen? Als die Calenberger nach dem Einmarsch der Hessen in Wormeln für deren Wohlergehen sorgen mußten, setzten sie sich zusammen und überlegten, wie man an Geld kommen könnte. Jemand aus der Runde machte den Vorschlag, doch einmal bei dem dicken Weinhändler Öbeke aus Warburg vorzusprechen. Der war so reich, daß er sein Geld kaum allein ausgeben konnte. Und in Calenberg gab es ja einige Leute, die sogar verwandschaftliche Bindungen zu ihm hatten. Die Ewen und Schnückel gehörten auch dazu.

Die wehrten sich gegen den Vorschlag. Aber ihnen fiel auch nichts besseres ein. Und so gingen der Ewe und der Schnückel im besten Sonntagsstaat mit gestärkten Hemden ihn besuchen. Nach einigen Flaschen Wein war Öbike in Geberlaune gekommen. (Der Wormeler Probst hatte damals seinen Meßwein auch noch bei der Konkurenz bestellt). Und er erinnerte sich der schönen Stunden bei dem Taufgelage in Johannes Kords Haus. Und sein Vater hatte ihn oft mitgenommen, wenn er in Calenberg einkehrte. Bei dem Johann Schnückel durfte er sogar auf dem Ackergaul sitzen, wenn man auf das Feld fuhr. (siehe Bd. I Ortssippenbuch Calenberg PB Nr. 298 und 1247)

Man war sich schnell einig, unterschrieb das Protokoll, und dann siegelte und unterschrieb der Landrat von Hiddessen. Der Weinherr Oebicke gab den Calenbergern das Geld bar auf die Hand. Ob sie wohl mit den 125 Reichsthalern die gesamte Rechnung begleichen konnten?

Die beteiligten Gemeinden Wormeln, Welda, Germete und Calenberg legten die zu zahlenden Strafgelder auf die Grundbesitzenden um.

Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis die einzelnen Bauern diese Schulden abgetragen hatten, zumal wenige Jahre nach diesen Ereignissen die Franzosen mit Napoleon an der Spitze den übrigen Europäern zeigten, was denn nun Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, der Schlachtruf der französischen Revolution, für sie zu bedeuten hatte.

Dieser Wormeler Klosterkrieg hat Emotionen in unserer Heimat geweckt. Während in Frankreich gerade die Befreiung von den Privilegien des Adels und des Klerus gelungen war, hatten Adel und Klerus in Wormeln erfolgreich ihre Privilegien vermehrt. Das Volk hatte nur protestiert.

Beinahe hätte da eine Humbeline Rosenmeyer aus Brakel eine Revolution in deutschen Landen ausgelöst. – Heute verstehe ich, warum mein Großvater oft gesagt hat, aus Brakel sei noch nie etwas Gutes gekommen. „Aber der wußte auch noch nicht, was eine Verwaltungsreform ist“, sagte jemand, der diese Zeilen im Skript las. Doch heute sollte man Brakels Reputation nicht unbedingt an Humbeline messen.

Ganz anders sah die Sache in Welda aus, wie aus den folgenden Schreiben ersichtlich ist:

 

Abschrift

 

Extractus Protocolli Judicii Weldensis

Actum Welda                                                                        Jovis, den 26. 0ktober 1797

Herrschaftlicher Richter Brencke, so dann der neueingestzte Bauermeister Henricus Cohaupt als Spezialbevollmächtigter hiesiger Gemeinde zeigten an, daß sie kraft der unterm 13. dieses (13. 0ktober 1797) von sämtlichen Gemeinheitsgliedern erhaltenen und unterschriebenen Vollmacht die zur Bezahlung der Hessischen Executionstruppen eine Summa von 2000 Rthl borglich aufzunehmen sich genötigt gesehen hätten, gleichwie nun auf ihr inständiges Begehren der Herr Conductor Wasmuth zum Calenberge (s: Waldeyer, 0rtssippenbuch Calenberg Teil I S. 382 -385) tausend Rthl an französischen Dukaten p Stück zu einem Rthl, 18gr gegen 4 pct (%) Zinsen und gegen vierteljährige Lose (Kündigung) mit der Begünstigung solche tausend Rthl in zwei Terminen jährlich mit 500 Rthl hinwiederum abzulegen, vorgeschossen, desgleichen der Richter Peter Fuest zu Germete und Peter Bernhard Berendes daselbst hätten ein jeder 500 Rthl in Summa die anderen tausend Rthl an Ducatonnen, die Carolinen zu 6 Rthl 8 gr: gegen jährliche Zinse zu vier Procent vorgeschossen, und an der ggd angeordneten Commission zu Warburg laut erhaltener Quittung den 4ten Curr (= bare Nünze) ausbezahlt.

penn ihre habende Gemeinheitsgründe zur Sicherheit ob benannten drey Creditoren, im maßen dieselben schon mit anderen Schulden belastet, des vorgeschossenen Capitals und darob versprochenen jährlichen Zinsen nicht hinreichend wären, so setzen sie Gemeinheitsgliedern all ihr Privateigentum, es bestehe in Äckern, Wiesen, Gärten, wie aus Häusern, Mobilien und Bestialien (Tieren), nichts davon ausgeschlossen zum wahren Unterpfand, wie sie dann alle und jeder besonders all das ihrige, sowohl gegenwärtiges, als künftiges Vermögen, hiermit gerichtlich verhypothecierten und zugleich bis Ablage dieser drei Capitalien alle für einen haften wollen mit Begebung des Beneficii Excussionis: Wie dann auch in fernere Rücksicht daß durch diese Capitalien größere Schaden, mehreren kösten und weiteres Elend von der Gemeinheit abgewendet würde, auf alle und jede einrede und Rechts Wohltaten Verzicht tun wollten:

so geschehen wie oben

Pro extractus Protocolli subscripsit,                                                  Wilh. Neukirch

p.t . Weldischer Gerichtshalter

Johann Brencken        Richter

Henricus Kuhaupt      Bauermeister

Johan Jürgen Stoltzenberg

Johannes Bielefeld     Colector

Georg Engeman         Bauher

Josephus Tegethoff                                       Anton Gladen

Wilhelm Ellebracht                                        Christoffel Hosse (Hohse)

Johannes Blome                                              Frans Hillebrand

Anton Engemann                                            Arnold Risse

Wilhelm Kayser                                               Joseip Hermetten (Herdemerten)

Carel Bowinckelman                                    Johannes Linewerber

Anton Ringenberg                                         Friedrich Hartmann

Johannes Ringenberg                                  Hänricus Kuhabt X

J.W. Blömecke                                                  Wittib Wülrich X

Johannes Bieling                                            Hänricus Märdens X

Anton Hope                                                      Franß Schaller X

Henricus Bowinkellman                            Tomas Schaller X

Josep Kohaubt                                                Johan Georg Vogelins

Peter Schaller

Hamberend Schafmeister

Kunrad Ewe

Anton Mantel

(X hinter dem Namen bedeutet, daß ein Anderer den Namen geschrieben und der Schuldner mit dem Kreuz die Unterschrift anerkennt}

Zu mehrere Sicherheit jegenwärtiger Obligation von hiesiger Gemeinheit wirdt sie von mir als Gutsbesitzerin confirmiert (bestätigt} durch meine Eigenhandige Unterschrift und angebohrener Petschaft

 

(Petschaft – Siegel}                                       so geschehen den 2ten 9bris (2.11.) 1797

Freifrau von Brackel

geb. von Haxthausen

Von ein vermeltes Capital ist mir vom Herrn Bürgermeister Kayser aus Welda hundert Reichsthaler sambt sieben monatliche Interesse richtig bezahlt.       den 20. May 1806 Berndes

Diese Obligation über 400 Rthl mit Zinsen ist dem Anton Stoltzenberg

uxorio (Ww) nomine zugeteillt worden

Actum Germete, den 18. November 1809                A.J.C.Ewen, Canton Notaire zu

Volckmarsen

Daß Herr Anton Stoltzenberg auf oben Benanntes Capital noch zwey  hun-

dert und sieben Thaler 16 Mariengroschen zu fordern hat,

wird hierdurch attestiert .                              Welda, den 17. May 1814 D. Tegethoff

 

Im Jahre 1815, den 16. November, sind auf vorstehendes Capital ad 207 Rthl, schreibe zwyhundertsieben Thaler 16 Gr, 27 Rthl 16 Gr abgetragen

bleibt noch 180 Rthl.                         Welda, den 25. November 1815 Anton Stotzenberg

 

Daß ich auf obige 180 Rthl 55 Rthl erhalten habe, wird hierdurch

quittiert.                                 Welda, den 6. April 1816      Bleibt also noch 125 Rthl.

Anton Stoltzenberg

 

1816 ist auf obige 125 Rthl  23 Rthl abge1iewert. Bleibt also noch ein

Capital 102 Rthl                                                     Anton Stoltzenberg

 

Diese Obligation über 53 Rthl übergebe ich dem Heinrich Tegethoff in

Welda mit Zinsen und allen Rechten. Sogeschehen

Welda, den 5. Januar 1821    Anton Stoltzenberg

 

1817  ist  auf  das  Capital  ad  102  Rthl, 42 Rthl schrei be zwey und

firtzig Thaler abgelegt. Welda, den 3ten Dezember 1817    Anton Stoltzenberg

Bleibt also noch sechzig Thaler

pro 1820 auf vorstehende sechzig Thaler sind den 10ten Dezember 1820

sieben Thaler erhalten. Bleibt noch 53 geschrieben fünfzigdrey Thaler

noch zu zahlen                       Welda den 11ten Dezember 182O    Anton  Stoltzenberg

53 Rthl richtig erhalten, worüber hier quittiert wird

Welda, den 6. May 1822                                          Heinrich Tegethoff

(Rückseite noch aufgeführt:)

Obligatio über 500 Rthl von der Gemeinheit Welda an Bernard Berendes

zu Germete. “

So sind also der Gemeindekasse Welda von dem Conductor Wasmuth aus Calenberg 1000 Rthl geliehen worden. Warum er den Calenbergern das Geld nicht geliehen hat bleibt offen. (Vielleicht wollten die auch von ihm kein Geld, weil sie sein einnehmendes Wesen kannten?). Die Germeter Bürger Peter Fuest und Peter Bernhard Berendes leihen Welda zu den gleichen Bedingungen jeweils 500 Rthl.

Aber dann geraten die Schuldner der Gemeinden Welda und Calenberg während der Franzosenzeit in Zahlungsschwierigkeiten, wie aus einem Bericht des Bürgermeisters Tegethoff an den Cantons Maire in Volkmarsen hervorgeht. Er berichtet 1810 daß die Schuldenlast der etwa 30 Einwohner auf 1200 Franken angewachsen sei, für die der damalige Ortsvorsteher „nahmens der Gemeinde eingetreten sei “ . „Jetzt, da die einzelnen Debenten (Schuldner) die Zinsen davon nicht zahlen, obgleich sie das schon öfter vor Gericht versprochen hätten, verlangen die Creditoren (Geldverleiher Wasmuth, Berendes und Fuest) von der Gemeinde Casse ihre Befriedigung“. Der Cantons-Maire berichtet dann an den Präfecten in Kassel und will wissen, wie das nun weitergehen soll.

Die Regierung des Königs Jerome in Cassel reagiert sofort und verlangt, die Angelegenheit näher zu untersuchen, „indem nicht zugegeben werden kann, daß eine Commune für die einzelnen Debenten (Schuldner) ausgeklagt werde“. Daher solle man sich sofort an „das Distriks Tribunal zu Paderborn zu wenden, dasselbe um eine Abschrift von dem in dieser Sache unter dem vorigen Gouvernment (Regierung des Bischofs) von der Regierung daselbst abgefaßten Erkenntnis zu bitten“ (das Urteil vom Reichskammergericht liegt bei den Paderborner Gerichtsakten). Dann sollen die Akten nach Kassel gesandt werden, nicht ohne einen Bericht über die Vermögensumstände der einzelnen Schuldner. Aber man will auch wissen, was für Leute denn die Kreditgeber sind!

Der Cantons-Maire in Wolfhagen (Avenarius) hat schon im September 1810 seinen Bericht fertig. Er hat die Akten von Paderborn in der Angelegenheit Calenberg und Welda zusammengestellt und schickt sie an den „Königlichen Präfecten und Ritter des Ordens der Westphälischen Krone, Herrn von Reiman zu Cassel“ .

Die Akten enthalten:

  1. Abschrift des Urteils.
  2. Abschriftliche Verfügung der Regierung an die damalige Freygräfin

von Hiddessen zu Warburg.

  1. Ein vom Maire Tegethof zu Welda aufgestelltes Verzeichnis der

Debitoren (Schuldner) .

  1. Protokollarische Aussagen des Maire Tegethof zu Welda.
  2. Ein gleiches des Maire Thonen zu Calenberg.

Die Abteilung des Inneren der Regierung in Cassel entscheidet noch im gleichen Monat, daß nicht die Gemeinde Welda, sondern die Schuldner, die in dem Verzeichnis namentlich aufgeführt sind, in zwei Raten zu zahlen haben.

Die Gemeinde Calenberg hat nicht zu zahlen, sondern ebenfalls die 15 Schuldner in 4 Terminen – und zwar jeweils in Vierteljahresraten. Sollte die Gemeinde wegen der Bürgschaft mit Zinsen in Anspruch genommen werden, gehe das nur, wenn die einzelnen Schuldner bis zur Abtragung des Kapitals die Gemeinde schadlos hielten (also das Geld bei der Gemeindekasse eingezahlt hätten).Nun soll der Cantons Maire mal sehen, daß die Zahlungsfristen eingehalten werden und er soll keine Rückstände dulden.

Der Cantons Maire Avenarius gibt diese Entscheidung weiter an die armen, verschuldeten Gemeinden. Also nicht die Gemeinden, sondern die Schuldner, die in Wormeln aktiv gewesen sind, müssen zahlen.

Von Interesse dürfte noch ein Schreiben des Avenarius vom 11.1.1811 an die Casseler Regierung sein, in dem er bittet, ihm doch die Verzeichnisse der Schuldner und sonstige Akten, die er der Regierung eingereicht habe, zurückzusenden (Ob er schon nach den Namen der Schuldner sucht?). Jedenfalls muß er rücksichtslos das Eintreibungsgeschäft der Geldverleiher betrieben haben, wie aus einer Rüge der Regierung in Cassel hervorgeht. Die schreibt ihm nämlich:

„Mein Herr Cantons Maire!

Zufolge des in Abschrift beikommenden Executions-Befehls haben Sie den Cantons-Boten Lotze angewiesen, sich wegen Beitreibung rückständiger Executions-Kosten bei der Commune Welda einzulegen (einzuquartieren) und nicht eher dort abzugehen (wegzugehen), bis sämtliche Rückstände berichtiget sein würden. Gegen die verfügte Execution glaube ich zwar nichts zu erinnern, warum Sie indessen den Betrag der dem Lotze täglich belaufenden Exemtionsgebühren auf 6 Franken festsetzen, so ist es mir unbegreiflich, was Sie dazu bewogen haben kann, der Gemeinde so übermäßige Kosten zu verursachen, und wie Sie sich authorisiert halten können, dergleichen Gebühren nach Willkür zu bestimmen . ? Der Canton-Bote kann in dieser Hinsicht nur dem Präfektur-Soldaten gleichgeachtet werden, und es gebührt ihm nichts mehr als letzterem (er hat nicht mehr zu bekommen, als der Präfektur-Soldat). Mit Recht beschwert sich die Commune (Welda) daher über die ihr unrechtmäßigerweise zur Last fallenden Kosten, und es verstehet sich von selbst, daß solche erstattet werden müssen. Demgemäß ersuche ich Sie den Lotze sofort zur Herausgabe des zu viel Bezahlten anzuhalten, und indem ich Sie zur Rechtfertigung über dieses Verfahren auffordere, weise ich Sie zugleich an, sich nie wieder dergleichen Willkührlichkeiten zu erlauben.

mit Hochachtung d P d K (Unterschrift wahrscheinlich Reiman?)“

(d P d K = der Präfekt des Kantons)

Den Brief konnte der Avenarius hinter seinen Spiegel stecken. Er hatte es eben zu genau mit der Eintreibung der Gelder genommen. Aber der Gemeinde Welda den Kantonsboten einzuquartieren und dafür noch täglich 6 Franken zu verlangen, das ging zu weit. Der Bürgermeister hatte einen guten Draht nach Kassel. Und jetzt wurde Avenarius vorsichtig.

Doch diese Geschichte fand noch eine Fortsetzung, wie die Akten im Staatsarchiv Detmold ausweisen.

Ein Herr Martin von Eß aus Warburg war nach langem Zureden bereit gewesen, den Calenbergern weiteren Kredit zu geben. Weil der angesehene Öbike, der den Calenbergern schon Geld geliehen hatte, dafür bekannt war, daß er keine riskanten Geschäfte machte, traute sich Herr von Eß auch.

Aber von Eß hatte das ausgeliehene Geld nicht in vollem Umfang zurück erhalten. Lange Jahre war er vertröstet worden. Inzwischen hatte Preußen 1802 die Herrschaft im Hochstift übernommen. Der Bischof war kein Staatsoberhaupt mehr. Kurz darauf kamen dann die Franzosen und Napoleon richtete 1805 mal eben ein Königreich Westfalen für seinen Bruder Jerome (Hieronymus) ein. Der lebte „lustig“ in diesem Reich. Aber als nach der Völkerschlacht bei Leipzig die Napoleonischen Truppen geflohen waren, kam 1818 König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an die Herrschaft. Truppendurchzüge vieler Völkerscharen brachten zuvor Not und Elend über unsere Heimat. Auch Kosaken waren in großer Zahl hier. (Der alte Josef Schnückel hatte uns Kindern oft erzählt, daß die mit ihren struppigen Pferden von der Spisse direkt hinunter zum Brunnen geritten seien – und das in vollem Galopp. Und kein Pferd sei gestürzt. Das habe ihm sein Vater oft erzählt, und der habe es von seinem Vater gewußt). Aber die Schulden der Gemeinde bestanden noch, als Preußen nun zum zweiten mal – und nun für viele Jahre die Herrschaft antraten.

Inzwischen waren Jahre vergangen. Der Herr von Eß beklagte sich schon am 18.11.1817 beim Kriegs- und Landrat von Hiddessen. Die Calenberger zahlten ihm seit Jahren nicht die Zinsen von dem an die Gemeinde ausgeliehenen Kapital. Auch 1818 beklagte er sich wieder. Die Zinsen allein waren inzwischen auf 40 Reichsthaler angewachsen. Auch das geliehene Kapital würden die Calenberger nicht abtragen. Und da wurde der Bürgermeister Schnückel vom Hiddessen angewiesen, nun endlich das Geld aus der Gemeindekasse zu zahlen. Der tat das aber nicht. Auch als der Landrat immer massiver drohte und den Bürgermeister gar fest- zusetzen ankündigte , blieb der renitent.

Die preußische Regierung ist fassungslos. Solchen Ungehorsam der Untergebenen kann man nicht fassen. Der Bürgermeister schweigt auch weiterhin auf die Frage, warum er denn nicht zahle. Die einzige Auskunft die er gibt, lautet: „Als Bürgermeister bin ich der Gemeinde verpflichtet und ich habe meine Gründe, wenn ich nicht zahle“.

Da zitiert der Landrat schließlich den gesamten Rat der Gemeinde und noch einige honorige Bürger vor den Kreisausschuß.

Dort ist auch der Kaufmann Eß anwesend. Der legt eine gerichtliche Verschreibung des damaligen Gografen (später sagte man Landrat) von Warburg vom 5.11.1797 vor, nach der die Gemeinde dieses Kapital „erborgt und solches zu verzinsen und zurückzuzahlen versprochen“ hat.

Der Ortsvorsteher erhebt keine Einwendungen. Er meint nur, das stimme und man habe ja auch bis 1809 die Zinsen pünktlich gezahlt. Aber dann hätten einige „Gemeindemitglieder bei der Präfektur in Cassel angezeigt, daß dieses Kapital noch von den im Jahre 1797 gegen das Kloster Wormeln eingetretenen Tumulte herrühre. Wenn auch gleich damals die Gemeinde angewiesen sei vorläufig eingetretene Militär Exemtionskosten zu berichtigen (zu bezahlen), so verstehe es sich von selbst, daß diese Auslagen diejenigen Gemeindemitglieder wieder ersetzen müßten, welche an jenem Tumult theilgenommen hätten. Da dieses mit der Gemeinde nicht der Fall gewesen“‚ könne die auch nicht zahlen (Die Gemeinde hat dem Kloster ja keinen Krieg erklärt, warum soll sie jetzt zahlen?). Außerdem habe die damalige Regierung in Cassel und der „Cantonsbeamte Avenarius die von den Bürgern gemachte Anzeige billig gefunden (zu- treffend gefunden) und gemäß der Anweisung aus Cassel befohlen, Kapital und Zinsen von den unmittelbar Beteiligten einzuziehen“. Und das sei der Grund, „weswegen dieses Capital nicht auf das Gemeindebudget mehr aufgenommen werde“. Ja, wenn die Schuldner das Geld an die Gemeinde gezahlt hätten, dann wäre das etwas anderes. Aber er habe von denen nichts bekommen. Und er, der Bürgermeister befinde sich außerstande, deswegen Zinszahlungen aus der Gemeindekasse anweisen zu können. Und er legte das Schreiben des Cantonsbeamten Avenarius vom 17.5.1813 in Abschrift vor. Vom Original wollte er sich nicht trennen. (Er hatte da so seine Erfahrung). Jedenfalls stand darin, daß die Gemeinde nicht zahlen dürfe, sondern die Schuldner müßten selbst zahlen)

Er habe ja versucht, dem Herrn von Eß zu helfen. „Indeß habe er die deßfalsigen Verhandlungen, besonders das Verzeichnis der unmittelbaren Teilnehmer an dem Wormeler Aufstand von dem damaligen Calenberger Bürgermeister Johann Jürgen Thonen abgefordert. Aber der habe es ihm nicht gegeben. Der Thonen sei heute auch hier, der könne selbst dazu aussagen“. (St.Arch.Detm. M2 Warbg. Nr.1644)

Und Thöne bestätigte die Aussage des Bürgermeisters (Er war vor dem Schnückel Bürgermeister gewesen). Die Namensliste existiere nicht mehr. Als die Russen durch Calenberg marschiert seien, wären diese Unterlagen von denen vernichtet worden. -Dann solle er doch mal sagen, welche Namen in der Liste gestanden hätten. Und das fiel ihm einfach nicht mehr ein, so sehr er seine Stirn auch in Falten legte. Dann wollte man vom Bürgermeister wissen, warum er denn die Gelder nicht selbst von den Beteiligten beigetrieben habe.Aber der meinte, er hätte die Teilnehmer nicht ermitteln können, weil bei seinen Erkundigungen niemand exakte Auskunft gegeben habe. Man hätte sich immer auf andere bezogen, besonders immer auf Schulkinder, deren Eltern dann wohl bezahlen müßten. Aber die Gemeinde brauche nicht zahlen, weil der Cantonsbeamte Avenarius nun einmal so entschieden habe. Und niemand könne ihn – den verantwortlichen Bürgermeister – zwingen, gegen diese rechtlich heute noch verbindliche Verfügung aus der Franzosenzeit zu handeln. (Jetzt sollten die Preußen mal sehen,

wie sie mit dem Problem fertig würden. Und da redeten auch sie – ganz wie die Franzosen – immer von der Bauernbefreiung).

Und doch war unterschwellig zu vernehmen, daß fast das ganze Dorf geschlossen an dem Aufstand in Wormeln teilgenommen hatte – wie auch die anderen Nachbarorte Germete und Welda. Aber da ließ man sich nicht auf Namen festnageln. (Wie aus dem Schreiben des Casseler Präfecten vom 13.9.1810 an den Cantonsmaire in Wolfhagen hervorgeht, waren es tatsächlich 15 Calenberger Bürger gewesen).

Jetzt meint der Landrat Hiddessen, es handele sich doch wohl um eine Gemeinschaftsschuld , da nur wenige Gemeindemitglieder nicht in Wormeln gewesen seien. (Er will die Kosten der Gemeinde anhängen) Die Calenberger meinen aber, die Schuld könne nur denjenigen auferlegt werden, die wirklich geplündert hätten. Und das hätten die mehrsten (die meisten) nicht getan. (Nun sollte man nach 20 Jahren noch wissen, wer denn bei Ausbeutern <den Nonnen im Kloster> geplündert habe).

Aber jetzt protestiert Herr von Eß. Das alles interessiere ihn überhaupt nicht. Er habe das Darlehen der Gemeinde gegeben. Und von der wolle er es zurückhaben. (Aber der Calenberger Rat sagt nichts und denkt,. da gibt es die Entscheidung vom Avenarius und aus Cassel vom „Königlichen Präfecten Herrn von Reiman. Soll der von Eß sich sein Geld doch bei den Preußen holen. Die haben die Regierung von den Franzosen übernommen und können auch für die Folgekosten aufkommen).

Der Kreisausschuß unter Leitung des von Hiddessen war hilflos. Man ließ erst einmal alle geladenen Calenberger das Protokoll unterschreiben. (Georg Thöne, Johannes Ewe, Samuel Schäfer, Conrad Blome, Ferdinand Thöne, Anton Busch, Jörgen Hasebase, Christophorus Berendes, Josef Jacob, Johann Rose, Johann Engemann, Jodocus Michels, Johann Heller, Christoph Jacob, Heinrich Michels, und der Ortsvorsteher Anton Schnückel. Darunter in Schönschrift „von Hiddessen“ ) . Auf dem Heimweg sind die Calenberger dann in der Rose eingekehrt. Man hatte es den Preußen – die ihnen auch noch die Stadtrechte genommen hatten- erst einmal richtig gezeigt. Und dann schmeckte das Bier. Der Samuel Schäfers, der sonst kaum ein Wort sprach, formulierte den Satz: „Da kuckede dei Hiddessen!“ Man fühlte sich stark und trank und sang – Das war der Tag des Herrn .

Der Wirt des „‚Gasthofes Zur Rose“ soll sogar aus dem protestantischen Herlinghausen Schnaps haben holen müssen. Und die Herlinghauser hätten mitgefeiert, obwohl man sich bei den Prozessionen nach Dalheim immer pflichtgemäß hätte prügeln müssen. (Dank der Malsburger gab es in keinem Ort weit im Umkreis mehr Schnapsbrennereien als in Herlinghausen. Und die Herlinghauser hatten auch etwas gegen die Preußen, weil man sie, die doch früher einmal zu Hessen gehörten, „wie Ausländer besteuerte. Aus einem Brief des Bürgermeister an den Landrat geht das hervor.

„Jetzt sind wir des Königs Unterthanen und müssen dem Staat dienen wie andere Unterthanen, sind aber ausgeschlossen um im Königreich oder bloß der Provinz zu handeln und einen Nahrungszweig (Erwerbszweig)zu suchen. Wir müssen die Abgaben geben und sind gleichsam in der Gefangenschaft als Eingekerkerte und dürfen nichts ins Preußische auch nichts ins Hessische bringen noch raus gleich den anderen Unterthanen. Da ich als Vorsteher allhier nach der Kreisstadt Warburg etliche Fässer Branntwein verkauft, wovon ich doch alle Steuern bezahlt hatte, sollte aber sowohl Zoll als Ausländer daselbst bezahlen, daß mir kaum das Holz am Faß übrig blieb. Wir sind so eine gedrückte Gemeinde, daß man sagen möchte, daß doch die Hülfe aus Zion käme und hülfe uns aus dieser Armuth. “ (StA.Detm. M2/Nr.291 Wbg.) . Dieses Schreiben ist „‚mit wahrer Hochachtung“ von Ortsvorsteher Nolte und seinen Gemeinderäten Koch Johannes, Nolte Heinrich, Koch Joh. Heinrich, Hosse Johannes, Hosse Heinrich und Großjohann unterschrieben.

(Als Zollgrenze haben die Preußen und Hessen anfangs die Diemel gesehen, obwohl doch einige Preußische Orte dahinter lagen. Und die wurden tatsächlich zur Verzollung herangezoge, wenn sie nach Warburg oder ins Hessische Waren verbrachten. Es hat eine Zeit gedauert, bis das bereinigt war) .

Jetzt gab es eine Gelegenheit, den gemeinsamen Frust gegen die Preußen einmal herunterspülen. Aber in dem Streit zwischen Calenberg und dem Herrn von Eß fand der Kreisausschuß keine Entscheidung. War auch unter dem Vorsitz des Landrats nicht zu erwarten. Denn der pflog seine alte Gewohnheit, daß sich seine Probleme irgendwann einmal lösten, wenn er sie nur lange genug liegen ließ. (übrigens scheint später eine Aussöhnung zwischen der Familie des Herrn von Eß und den Calenbergern erfolgt zu sein, wie im Probandenverzeichnis Nr. <.21> festzustellen ist.

Es scheint eine Erklärung zu geben, warum die Calenberger auf so hohem Pferd saßen. Die Akten aus Paderborn waren von der Regierung in Kassel angefordert worden. In Paderborn hatte man Abschriften gefertigt. Nicht jedoch von den Schuldnerverzeichnissen. (Avenarius mahnte ja auch deren Rückgabe aus Kassel an). Das Calenberger Verzeichnis scheint in den Wirren des Rückzuges der Franzosen tatsächlich verloren gegangen zu sein. Ob Preußen später versucht hat in Hessen nach dem Verbleib der Listen zu forschen, ist unbekannt.

Und offensichtlich hatten die beiden Calenberger Bürgermeister das herausgefunden; oder einfach mal ausprobiert, ob das hätte geschehen sein können. Wenn der Thöne sich einfach nicht mehr an das einst in der Gemeinde befindliche Verzeichnis erinnerte, und wer von den Schuldnern ihm früher Geld in die Gemeindekasse gezahlt hatte, lag das eben an seinem im Alter schlecht gewordenen Gedächtnis.

Aber rund 65 Jahre nachdem der Zisterziensermönch Rörich in Wormeln die Sache mit dem Zehnten angezettelt hatte, hat eine königlich Preußische Regierungskommission dann doch entschieden. Am 26.April des Jahres 1826 ordnete sie an; „Die Gemeinde Calenberg muß zahlen.“ Aber jetzt war die Gemeinde Calenberg so arm, daß Preußen wohl doch subven-tionieren mußte.

Ob Wormeln und Germete auch Wege aus diesem Dilemma gefunden haben?

Welda jedenfalls hat zunächst die entstandenen Kosten zahlen müssen, wie sich aus der Urkunde vom 26.10.1797 mit den Quittierungen ergibt (siehe Kopie des Originals und Abschrift) . Aber dort war ja auch noch eine Abschrift mit Liste der Schuldner – von der Gräfin von Brackel gesiegelt – vorhanden. Sicher hatte man den durchziehenden Russen nicht die richtigen Papiere zum Feueranzünden angeboten.

Übrigens muß das Kloster Wormeln – die Schwestern waren ja immer gegen die Erhöhung des Zehnten gewesen – wegen des Aufruhrs nachträglich die Reue gepackt haben. Es verpflichtete sich schon 1797, den Opfern und ihren Angehörigen entscheidende Hilfe zu leisten. Man trug die Beerdigungskosten, man ließ die Kinder der Opfer ausbilden und zahlte auch jährlich eine ansehnliche Unterstützung – was in keinem Gerichtsurteil festgelegt war. Auch die Kurkosten der Verletzten übernahm das Kloster. Die Witwen der Getöteten erhielten jährlich 50 Thaler. Und das Kloster wollte die Docken vom Zehnten so zählen, wie das seit Urväter Zeiten üblich war.

1810 wurde das Kloster Opfer des Herrschers vom Königreich Westfalen. Jerome Napoleon hob es auf. Und da wurde es verkauft, weil man in Cassel lustig sein wollte. Übrigens hatte Preußen das auch schon zuvor mit den Männerk1östern getan.Aber die Preußen brauchten das Geld nicht für Fröhlichkeit, sondern kauften Uniformen, Gewehre und Kanonen.

Das Leben war jetzt teuer geworden. Die bald folgende Bauernbefreiung in unserer Heimat, die vom preußischen Adel nicht mehr verhindert werden konnte, mußte wieder von den Bauern selbst bezahlt werden . Und das kostete manchem Bauern mehr, als sein Hof wert war.

Vor gut 150 Jahren sagte der Dichter Johann Gottfried Seume einmal:

„Der Blödsinn und der Eigennutz haben die Privilegien erschaffen“ .

Bisher hat noch jede Herrschaft ihre Fehler von ihren Abhängigen bezahlen lassen. Ob sich das einmal ändert?

(A.Waldeyer, aus Ortssippenbuch Calenberg/Dalheim Teil I und     Teil II, 1989 und 1990)

 

 

 

 

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Weldaer Heimatblatt Nr. 6 – Juni 1990